Predigen & Theologie
Vier Grundlagen für eine biblische Kontextualisierung
Kontextualisierung ist eines der aktuellen Themen in der Mission heutzutage. Einfach gesagt, ist Kontextualisierung das Wort, das wir benutzen, um den Prozess zu beschreiben, das Evangelium und die Gemeinde möglichst heimisch in der jeweiligen Kultur zu machen.
Westliche Christen haben die Tendenz, über Kontextualisierung als etwas zu denken, das Missionare „dort drüben“ tun und viele Christen in der westlichen Welt sorgen sich darum, wie weit nicht-westliche Kirchen in ihren Bemühungen um Kontextualisierung gehen. Doch in Wirklichkeit ist jeder heute lebende Christ aktiv in der Kontextualisierung beteiligt. Jeder Christ im Westen geht in eine kontextualisierte Gemeinde. Die Frage ist also nicht, ob wir kontextualisieren oder nicht. Auf unzählige Art und Weise, egal ob in Nordamerika oder Südasien, kontextualisiert jeder lebende Gläubige das Evangelium und die Kirche in seine eigene Kultur, schließlich ist keiner von uns ein Jude im Palästina des ersten Jahrhunderts. Die Frage, der jeder Gläubige und jede Gemeinde deswegen gegenübersteht, ist, ob sie gut kontextualisieren oder nicht gut. Jeder, der nicht realisiert, dass er kontextualisiert, versäumt, sorgfältig und biblisch darüber nachzudenken, sodass er mangelhaft kontextualisiert. Synkretismus kann genauso einfach in Ingolstadt und Innsbruck geschehen wie in Indonesien!
Zuallererst müssen wir bekennen, dass die Schrift – nicht unsere Erfahrung – der Maßstab ist, nach dem alles bewertet werden muss. Die Schrift ist unfehlbar, autoritativ und genügt. Wenn die Schrift uns Befehle, Verbote, oder verbindliche Muster gibt, ist die Sache geklärt. Wenn die Schrift Grenzen setzt, dürfen wir diese nicht übertreten. Innerhalb dieser Grenzen ist nichts an unserer kulturellen Art und Weise, Dinge zu tun, heilig. Über die Jahre und über den ganzen Globus verteilt, gab es andere kulturelle Ausdrucksformen des Christentums, die genauso treu zur Schrift sind wie unsere eigene. Der Schlüssel ist, die Bibel urteilen zu lassen und dem globalen Leib Christi zu erlauben, Gottes Wort in unsere blinden Flecken hineinzusprechen. Der Vorgang der Kontextualisierung beginnt im eigentlichen Sinn schon im Neuen Testament selbst. Die wahrscheinlich am häufigsten zitierte Stelle zu diesem Thema ist 1. Korinther 9. Im restlichen Teil des Artikels will ich aus diesem Abschnitt vier Beobachtungen über treue Kontextualisierung ableiten.
1. Paulus gab seine gültigen Rechte auf.
Der Schlüssel dieses Abschnitts ist in Vers 12: „Wir ertragen alles, damit wir dem Evangelium Christi kein Hindernis bereiten.“ Paulus Anliegen war die Ausbreitung des Evangeliums. Er wollte nicht, dass irgendetwas Unnötiges dieser Ausbreitung im Weg stünde. Er war bereit, jegliche Unannehmlichkeiten oder persönliche Schwierigkeiten zu ertragen, die dazu beitragen könnten, dass das Evangelium wirksamer voranschreitet, was beinhaltete, dass er nicht von seinen legitimen Rechten Gebrauch machte. Er hatte beispielsweise das Recht, Fleisch zu essen, eine gläubige Frau zu heiraten und finanzielle Unterstützung zu bekommen. Er hätte nicht gesündigt, wenn er eines dieser Dinge getan hätte. Andere Apostel haben das sogar gemacht. Auch wenn er in diesem Vorgang nicht bereit war, an irgendeiner biblischen Wahrheit oder Befehl Abstriche zu machen, gab er bereitwillig seine Rechte ab, um kein Hindernis in den Weg zum Evangelium zu legen.
Als Christen aus dem Westen tun wir uns damit schwer. Wir sind damit aufgewachsen, auf unsere Rechte zu bestehen. Als ein freier Mensch habe ich das „Recht“ viele Dinge zu tun, die anstößig in meinem neuen kulturellen Kontext wären: drinnen Schuhe zu tragen, mit meiner linken Hand zu essen oder jemanden damit zu berühren, einen Zaun um meinen Garten aufzubauen, ohne den Stammesältesten zu fragen, oder eine Geburtstagsfeier zu verlassen, bevor der Reis serviert wurde. Ich habe das „Recht“ mich anzuziehen, wie ich will, zu essen, was ich will und mein Haus zu dekorieren, wie ich will. Zugleich habe ich keinen biblischen Befehl, überhaupt eines dieser Dinge zu tun. Die Frage bei der Ausübung dieser Rechte ist nicht Gehorsam gegenüber Gott, sondern der eigene Komfort und die eigene Bequemlichkeit. Wenn irgendetwas, was ich tue, neben den Dingen, die die Schrift von mir fordert, es schwieriger macht für Muslime, Hindus oder Atheisten, das Evangelium von mir zu hören, muss ich bereit sein, diese freiwillig abzugeben.
2. Paulus war ein Diener der Nichtgläubigen.
Paulus nahm gegenüber Nichtgläubigen die Stellung eines Dieners ein. In Vers 19 schreibt er: „Denn obwohl ich allen gegenüber frei bin, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, damit ich so viele wie möglich gewinne.“ Er spricht hier nicht darüber Christen zu dienen, da er denen dient, die gewonnen werden müssen. Er entschied sich nicht nur, seine Rechte aufzugeben, sondern ging noch einen Schritt weiter und entschied sich, selbst denen zu unterstehen, die er versuchte, mit dem Evangelium als ihr Diener zu erreichen. Wenn wir unter Kulturschock leiden, wollen wir oft für Leute den Sachverhalt richtigstellen, doch nicht ihnen dienen. Doch Jesus selbst kam nicht, um bedient zu werden, sondern um zu dienen. Er diente Leuten, die falsch lagen, die gegen ihn rebellierten und die ihn schließlich töteten. Paulus verstand die Haltung seines Herrn an der Stelle sehr gut. Die Haltung eines Dieners reflektiert den Charakter Christi. Sie zerbricht Stereotypen und bringt Mauern zum Einsturz. Dienen ist ein wesentliches Merkmal von wirksamem, interkulturellem Dienst und paradoxerweise bestimmt es, wie wir unsere Freiheit in Christus gebrauchen.
3. Paulus lebte wie diejenigen, die er evangelisierte.
Paulus identifizierte sich mit den Leuten, die er erreichen wollte und adaptierte ihren Lebensstil so sehr er konnte, ohne Kompromisse am Gesetz Christi einzugehen:
„Denn obwohl ich allen gegenüber frei bin, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, damit ich so viele wie möglich gewinne. Und ich bin den Juden wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne; denen, die unter Gesetz sind, wie einer unter Gesetz – obwohl ich selbst nicht unter Gesetz bin -, damit ich die, welche unter Gesetz sind, gewinne; denen, die ohne Gesetz sind, wie einer ohne Gesetz – obwohl ich nicht ohne Gesetz vor Gott bin, sondern unter dem Gesetz Christi -, damit ich die, welche ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette. Ich tue aber alles um des Evangeliums willen, um an ihm Anteil zu bekommen.“ (1Kor 9,19–23)
Wenn irgendeine Kultur das Recht gehabt hätte, sich selbst für frommer zu halten als andere, wäre es die jüdische Kultur. Paulus hatte ganz sicher das „Recht“, sein jüdisches Kulturerbe zu bewahren. Zugleich wurde Paulus von der Last des Gesetzes befreit. Trotzdem verhielt er sich wie ein Jude, wenn er mit Juden zusammen war und wenn er mit Heiden zusammen war, dann verhielt er sich wie sie. Mit den Schwachen – solchen mit außerbiblischen Hemmungen – lebte er mit ihren Hemmungen. Er wurde allen alles, damit er auf diese Weise einige rette. Er identifizierte sich mit den Leuten, die er erreichen wollte. Er adaptierte ihren Lebensstil in allen Bereichen, die ihnen im Wege stehen könnten, um das Evangelium zu hören. Er schätzte das Evangelium mehr als seine eigenen Rechte, mehr als seinen eigenen Komfort, mehr als seine eigene Kultur. Wenn es irgendeinen Anstoß in seiner Präsentation des Evangeliums geben soll, wollte er, dass es der Anstoß des Kreuzes wäre, nicht etwa der Anstoß der Fremdartigkeit.
4. Paulus war an die Bibel gebunden.
Paulus blieb im Rahmen der Schrift. In der Mitte seiner Aussage über Identifikation und Adaption, fügt er einen wichtigen Einschub ein: „obwohl ich nicht ohne Gesetz vor Gott bin, sondern unter dem Gesetz Christi“ (V.21). Obwohl er sowohl frei ist von der Vorschrift, das zeremonielle Gesetz einzuhalten, als auch von der Strafe, die jedem droht, der das Gesetz Gottes nicht perfekt einhält, betrachtete Paulus sich selbst noch immer unter der Autorität Gottes, wie sie in seinem Wort ausgedrückt ist. Die Schrift – durch ihre Theologie, ihre Weltanschauung, Befehle und Prinzipien – setzte ihm Grenzen für seine Anpassung an die Leute, die er erreichen wollte. Dasselbe sollte auch für uns gelten. Jede menschliche Kultur reflektiert allgemeine Gnade, doch zugleich reflektiert jede Kultur auch den Sündenfall. Deshalb passen wir uns auch nicht an das an, was im Widerspruch zur Bibel steht. Paulus` Verständnis dieses Prinzips ist klar. Er weigerte sich, die „Weisheit“ der beliebten hellenistischen Weltanschauung um ihn herum zu übernehmen, da er verstanden hatte, dass sie das Evangelium im Kern verneinte, ganz gleich wie ausgefeilt es geklungen hat. Tatsächlich duldete Paulus niemals Abweichungen oder Anpassung in zentralen Lehrfragen. Er passte sich nicht an zwielichtige Praktiken von zeitgenössischen umherziehenden Lehren an. Ganz sicher passte er sich nicht an die „akzeptierte“ Unmoral der Gesellschaft in Korinth an. Menschliche Kultur und menschliche Tradition sind verhandelbar. Gottes Wort nicht. Niemals.
Fazit
Kontextualisierung ist sowohl unvermeidlich als auch gut. Das Evangelium kann – und sollte – in jeder Kultur heimisch sein. Wir müssen uns mit denen identifizieren, die wir erreichen wollen und uns ihrer Kultur anpassen, egal wie viel Unannehmlichkeiten es uns kostet. Allerdings hinterfragt und verurteilt das Evangelium jede Kultur an einigen Stellen (inklusive unserer eigenen). An den Stellen, an denen die Bibel Grenzen zieht, sollten wir auch Grenzen ziehen. Das Ziel der Kontextualisierung ist nicht Komfort, sondern Klarheit. Das Evangelium wird einer gefallenen Gesellschaft oder einem sündigen Menschen niemals bequem erscheinen. Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass wir keine Hindernisse in den Weg des Evangeliums stellen, sodass der einzige Anstoß der Anstoß des Kreuzes sein wird und alle die Bedeutung des Kreuzes klar sehen.
Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.