Evangelisation & Evangelium

Hört auf, Missionare auszusenden!

Von Steve Jennings

Steve Jennings ist Pastor der Immanuel Church in Fujairah, Vereinigte Arabische Emirate.
Artikel
01.05.2022

„Hier bin ich, sende mich!“ (Jes 6,8)

„Die Ernte ist groß, aber es sind wenige Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende!“ (Mt 9,37–38)

Diese Verse stehen auf unzähligen Gebetskarten angehender Missionare. Sie sind zum Motto vieler Menschen und Gemeinden geworden, die erkennen, dass wir Christen eine Aufgabe bekommen haben: Macht zu Jüngern alle Völker!

Diese Völker wurden von der Gemeinde leider über Generationen hinweg vernachlässigt. Daher sind die Kurskorrektur und auch der Nachdruck an sich lobenswert, mit dem die Gemeinde in der jüngeren Vergangenheit diese Aufgabe neu in den Fokus genommen hat.

Doch in den vergleichsweise wenigen Jahren meiner Missionsarbeit – mitten im „10/40-Fenster“ (die Region zwischen dem 10 und 40 Breitengrad nördlich des Äquators, Anm. d. Übers.), umgeben von den unerreichten ethnischen Gruppen – habe ich mich immer wieder gefragt, ob unsere Kurskorrektur möglicherweise eine Überkorrektur war. Mir scheint, dass sie in der anderen Richtung aus dem Ruder gelaufen ist.

Der Missionsbefehl ist unerhört bedeutend und wie jede große Herausforderung erfordert er eine Vision, Hingabe und reichlich Arbeitskräfte. Trotzdem gibt es viele Situationen, in denen ich der westlichen Gemeinde einfach nur zurufen möchte: „Hört auf, Missionare auszusenden! Hört bitte auf, unterqualifizierte Missionare auszusenden!“

Es braucht nicht viele, sondern vor allem qualifizierte Mitarbeiter

Ja, es stimmt: Es gibt wenige Arbeiter und die Ernte ist groß. Doch das bedeutet nicht, dass mehr Arbeiter unbedingt besser sind. Mir scheint, dass die Ungeduld, die so bezeichnend für die heutige Generation ist, in der Missionsbewegung unter dem Deckmantel der „Dringlichkeit“ Einzug gehalten hat. Diese Kultur der Ungeduld wird von Gemeindeleitern allerdings nicht gebremst, sondern häufig gefördert und sogar ermutigt.

Mit dem Ergebnis, dass viele Menschen in die Mission gehen, die das ehrlich gesagt besser nicht tun sollten – oder die zumindest verfrüht aufbrechen.

Hier ist die Frage, die ich aussendenden Gemeinden gerne ans Herz legen möchte: Warum sendet ihr jemanden als Gemeindegründer aus, den ihr selber nicht als Pastor einstellen oder als Laienältesten einsetzen würdet? Warum ist es bei der Auswahl der Männer und Frauen, die diese Gemeindegründer in ihrer Arbeit unterstützen sollen, anscheinend wichtiger geworden, „Leidenschaft“ mitzubringen als bewährte Treue? Warum um Himmels willen legen wir die Messlatte niedriger an, wenn es um die Arbeit an der Missionsfront geht, als wir es bei der Ortsgemeinde zuhause tun würden?

Die Herausforderungen, die Belastungen und Versuchungen der Arbeit an der Missionsfront sind real existent. Doch immer wieder werden Menschen in diese Situationen ausgesandt, die zwar viel Eifer mitbringen, aber denen es schlicht an Einsicht fehlt. Der weise Autor der Sprüche hat durch den Heiligen Geist ganz richtig gesagt:

„Ohne Erkenntnis ist selbst Eifer nicht gut; und wer mit den Füßen hastig ist, tritt fehl“ (Spr 19,2; ELB).

Dieser Spruch bringt manche Missionsarbeit gut auf den Punkt: Eifer ohne Erkenntnis. Und Eifer ohne Erkenntnis ist in der Mission nicht nur gefährlich, sondern sogar in geistlicher Hinsicht tödlich.

Dieses Erntefeld ist reif und es ist voller Arbeiter, die das Getreide kaputttreten und die Werkzeuge, die Gott ihnen gegeben hat, missbrauchen oder falsch verwenden. Stell dir ein Feld voller Menschen vor, die die Sense in die falsche Richtung schwingen oder sie sogar am falschen Ende anfassen. Und viel zu oft – hier strapaziere ich mein Bild etwas – benutzen sie überhaupt keine Sense. Sie stehen mit leeren Händen da – kein schöner Anblick.

Mir scheint, dass viele Gemeinden und Missionswerke nicht genug Zeit darauf verwenden, den Leuten beizubringen, wie sie zwischen Weizen und Unkraut unterscheiden können. Diese Missionare binden Unkraut zu Garben und berichten ihren Missionspartnern begeistert von ihren Ernteerfolgen. Ich wiederhole: Wir haben als Gemeinde Christi einen Auftrag erhalten, einen Weg, den wir einschlagen sollen. Aber viele Füße, die ausziehen, um das Evangelium des Friedens zu verkünden, verfehlen den Weg, weil sie Eifer ohne Erkenntnis haben.

Ja, es gibt wenige Arbeiter, doch unsere Ungeduld stürzt uns ins Verderben. Wenn Gemeinden es sich zum Ziel setzen, innerhalb einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl von Missionaren auszusenden, dann kann die Zielerfüllung dazu führen, dass sie die nötige Jüngerschaft überspringen und auf diese Weise Menschen ins Missionsfeld werfen, die sowohlselbst Schaden nehmen als auch anderen Schaden zufügen.

Geduldiger Eifer

Wir sollten uns stattdessen Paulus als Vorbild für geduldigen Eifer nehmen. Vom ersten Augenblick seiner Bekehrung an kennt er seine Berufung. Doch wenn wir in der Apostelgeschichte weiterlesen, sehen wir, dass er erst mehr als zehn Jahre nach seiner Bekehrung zu seiner ersten Missionsreise aufbricht. In der Zwischenzeit verbringt er drei prägende Jahre in Arabien, Zeit in seiner Heimatstadt Tarsus und dann weitere Zeit in der Gemeinde in Antiochia, von wo aus er mit Barnabas ausgesandt wird. Das ist wohlgemerkt der Paulus, der sich bereits bei seiner Bekehrung sehr gut in der Schrift auskennt. Es scheint, dass Paulus’ Missionsarbeit erst dann ernsthaft einsetzt, als er von seiner „Heimatgemeinde“ in Antiochia auf Veranlassung des Heiligen Geistes durch die Ältesten und die versammelte Gemeinde ausgesandt wird.

Wenn man mit Vertretern einer älteren Generation an Missionaren spricht, dann hört man, dass zu ihrer Zeit ein Studium an einem Bibelseminar o.ä. Voraussetzung war. Wenn man Biografien von Männern wie Adoniram Judson liest, dann war dort die Ordination ein Kriterium, um als Missionar ausgesandt zu werden. Heutzutage reicht quasi ein Abnicken durch die Gemeinde, damit ein Anwärter nach einigen Beurteilungen und der Teilannahme an einem zweiwöchigen Boot Camp relativ schnell für die Entsendung in die Mission zugelassen wird. Ein derartiges bequemes und effizientes System soll ermöglichen, dass immer mehr Missionare zu den Unerreichten ausgesandt werden können.

Aber viel hilft nicht immer viel.

Die Schwierigkeiten, die ihnen begegnen werden, wenn sie das Evangelium an schwierigen Einsatzorten verkünden, setzt einen Charakter voraus, der reif ist und sich bereits bewährt hat. Die Fragen, die Missionaren im Einsatz gestellt werden, erfordern häufig ein theologisches Wissen, das in die Tiefe wie in die Breite geht. Und die Begegnung mit dem wutschnaubenden Feind erfordert einen tief verwurzelten Glauben.

Pragmatismus grassiert unter Auslandsmissionaren, weil sie viel zu oft überhaupt nicht wissen, wie sie über ihren Gott sprechen sollen. Irrlehre breitet sich immer mehr aus, weil sie keine Ahnung von ihrer Botschaft haben. Der Lebensstil dieser Welt herrscht oft vor, weil so viele Missionare geistlich unreif und praktisch nicht in der Lage sind, jemandem Rechenschaft zu leisten. Liebe Gemeinden, hört auf, Menschen auszusenden, die kaum etwas von Gott wissen, die keine Ahnung von der Botschaft haben, die sie verkünden sollen, und die keinen blassen Schimmer davon haben, wie man sich unterordnet. Bitte hört damit um Gottes Ehre willen auf!

Eifer ist lobenswert, aber Eifer kommt und geht. Was wir wirklich voraussetzen und feiern sollten, ist die Berufung. Wohlgemerkt nicht irgendeine „Berufung“, sondern eine Berufung, die in der Wahrheit gegründet und von anderen bestätigt worden ist, insbesondere von Menschen, die den angehenden Missionar gut und lange kennen. Was wir brauchen, sind Missionare mit einer Berufung, die Hand in Hand geht mit einem jahrelangen treuen, fruchtbringenden Dienst. Wir brauchen Missionare mit einer Berufung, die in erster Linie Gottes Ehre und die sicheren Verheißungen des Evangeliums, wie sie die Schrift offenbart, zum Ziel hat.

Ortsgemeinden sollten sich für eine Langzeitperspektive entscheiden und treu andere Menschen zu Jüngern machen, die sie wiederum aussenden können und die treu das Evangelium verkündigen können. Sie sollten versuchen, so viele Menschen wie möglich für Christus zu gewinnen, ohne dabei in irgendeiner Weise die Qualität der Lehre und Jüngerschaft zu opfern.

Es ist nicht verwunderlich, dass es eine so hohe „Abbrecherquote“ unter Missionaren gibt, dass so viele lehrmäßige Unklarheiten bestehen und dass es so häufig geschieht, dass Missionare in heftige Sünde abrutschen. Es werden Menschen ausgesandt, die nicht ausgesandt werden sollten, weil es für sie einfach noch nicht an der Zeit ist.

Wie Gemeinden ihre Missionare ausrüsten sollten

Ich möchte zum Abschluss einige praktische Vorschläge machen, wie Gemeinden angehende Missionare besser auf ihren Dienst vorbereiten können:

  1. Rüstet sie mit guter Lehre zu, damit sie selbst gut lehren können. Sendet sie erst dann aus, wenn sie bewiesen haben, dass sie dazu in der Lage sind. (2 Tim 2,2)
  2. Sorgt dafür, dass sie die gesunde Lehre vermitteln und falsche Lehre widerlegen können. Wenn ein Missionar nicht in der Lage ist, auf Einwände einzugehen oder Falschaussagen zu korrigieren, dann ist das der sicherste Weg in die Katastrophe, wenn er anderen Religionen oder (schlimmer noch) anderen fehlgeleiteten Missionaren begegnet. (Tit 1,9Eph 4,14)
  3. Sorgt dafür, dass sie in der Lage sind, sich einer biblischen Leitung unterzuordnen. Sind es Eigenbrötler, deren Autonomie noch nie in Frage gestellt wurde? In diesem Fall ist es wichtig, dass sie erst lernen, sich fröhlich ihren Leitern unterzuordnen, die für sie Rechenschaft ablegen müssen, bevor man sie mit gutem Gewissen aussenden kann. (Hebr 13,17–18)
  4. Verbunden mit dem vorhergehenden Punkt ist ein bewährter, gottesfürchtiger Charakter Voraussetzung. Dieser lässt sich nur über einen längeren Zeitraum des persönlichen Umgangs und der anhaltenden Jüngerschaft beurteilen und nicht nach einem einzelnen Vorstellungsgespräch und dem Ausfüllen eines Persönlichkeitsprofils. Unkontrollierte Sünde wird an vorderster Front nur schlimmer, nicht besser. (Hebr 12,1)
  5. Wenn ein Mann in eurer Gemeinde nicht die Voraussetzungen zum Ältesten erfüllt, dann solltet ihr ihn auch nicht aussenden, um anderenorts, am allerwenigsten im Ausland, Gemeinden zu gründen. Wenn ein Kandidat nicht bzw. noch nicht geeignet für das Ältestenamt ist, dann halte ich es für angeraten, ihn in eine bereits bestehende, stabile Gemeinde zu entsenden, wo ihr euch sicher sein könnt, dass sein geistliches Wachstum und sein geistlicher Dienst von treuen Hirten angespornt und beaufsichtigt wird. (Hebr 10,24–25)
  6. Jeder Missionar, den ihr aussendet, muss eines dieser zwei Ziele haben: einer bestehenden Gemeinde beizutreten oder Christen zusammenzubringen, um so schnell wie möglich eine neue Gemeinde zu gründen. Wenn es noch keine Gemeinde gibt, dann ist es besser, eine kleine Gruppe an den Ort zu entsenden als einen Einzelnen. Kein Christ sollte allein sein. Gemeinde und Mission, Ekklesiologie und Missiologie, müssen untrennbar verbunden sein. Gemeinden gründen Gemeinden. Christliche Missionswerke leisten einen wertvollen und fachkundigen Beitrag dazu, dass Ortsgemeinden Missionare aussenden. Sie dürfen die Ortsgemeinde aber nicht ersetzen. (Apg 20,2816,13)
  7. Seid euch als entsendende Gemeinde einig darüber, dass die Betreffenden tatsächlich berufen und bereit sind. Das schützt die Missionare, die ihr aussendet, und baut sie enorm auf, weil sie wissen, dass sie Teil von etwas Größerem sind und nicht nur von ihren eigenen Zielen angetrieben werden, die sich schnell verändern oder verblassen können. (Apg 13,3)

Ich schreibe diesen Artikel nicht, um den Missionseifer eurer Gemeinde zu bremsen, sondern um eine langfristige Perspektive anzuregen, die eine bleibende Treue im Dienst zum Ziel hat. Wir laufen einen Marathon, keine Kurzstrecke. Mit unserem Dienst steht es genauso. Eine gottesfürchtige Dringlichkeit nimmt eine sorgfältige Vorbereitung auf den Dienst ernst. Diese Wahrheit gerät in den Hintergrund, wenn unser wichtigstes Ziel beim Entsenden von Missionaren die immer höhere Zahl an Bekehrungen ist. Unser wichtigstes Ziel muss aber Gottes Ehre sein – mit diesem Fokus müssen wir uns selbst und andere vorbereiten.

Seid euch also der Dringlichkeit bewusst, aber handelt nicht auf Kosten der Weisheit. Denn Gottes Ehre steht auf dem Spiel.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.


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