Predigen & Theologie

Fünf theologische Fehler des Wohlstandsevangeliums

Von David W. Jones

David Jones ist Professor für christliche Ethik am Southeastern Baptist Theological Seminary.
Artikel
01.05.2022

Vor über einem Jahrhundert richtete sich Charles Spurgeon an eine der größten Gemeinden der Christenheit und sagte:

„Ich glaube, dass es für jeden Christen anti-christlich und gottlos ist, mit dem Ziel zu leben, materiellen Reichtum anzuhäufen. Du wirst sagen: ‚Aber sollten wir nicht danach trachten so viel Geld wie möglich zu bekommen?‘ Das kannst du schon machen. Aber ich bezweifle, dass du damit der Sache des Herrn dienst. Ich sage, dass es anti-christlich ist, mit dem Ziel zu leben, Reichtum anzuhäufen.“1

Leider hat sich die Botschaft, die in einigen der größten Gemeinden der Welt heute gepredigt wird, über die Jahre verändert. Es ist sogar so, dass vielen Gemeinden heute ein anderes Evangelium verkündigt wird. Diesem wurden viele Namen gegeben, z.B. „name it and claim it“-gospel (dt. „Benenne und beanspruche es“-Evangelium), „blab it and grab it“-gospel (dt. „Plappere und greife es dir“-Evangelium), „health and wealth”-gospel (dt. „Gesundheits- und Wohlstands“-Evangelium), „prosperity“-gospel“ (dt. „Wohlstands-Evangelium) und „positive confession theology“ (dt. „positive Bekenntnis-Theologie“).

Welche Bezeichnung auch verwendet wird, dem Wesen nach ist dieses neue Evangelium immer gleich. Auf einen Nenner gebracht lehrt dieses egozentrische „Wohlstandsevangelium“, es wäre Gottes Wille, dass alle Gläubigen physisch gesund, materiell wohlhabend und persönlich glücklich sind. Lassen wir mal die folgenden Worte von Robert Tilton, einem der bekanntesten Protagonisten des Wohlstandsevangeliums, auf uns wirken: „Ich glaube, es ist der Wille Gottes, dass jeder im Wohlstand lebt, weil ich dies dem Wort Gottes entnehme, nicht weil ich es bei irgendwem anders beobachtet hätte. Ich richte meine Augen nicht auf Menschen, sondern auf Gott, der mir die Macht verleiht, Wohlstand zu bekommen.“2 Die Prediger des Wohlstandsevangeliums ermutigen ihre Nachfolger, dafür zu beten und sogar von Gott einzufordern, dass es ihnen finanziell immer besser geht.

Fünf theologische Fehler des Wohlstandsevangeliums

Vor kurzem schrieben Russell Woodbridge und ich ein Buch mit dem Titel Health, Wealth, and Happiness (dt. „Gesundheit, Wohlstand und Glück“)3, um die Behauptungen von Vertretern des Wohlstandsevangeliums genauer unter die Lupe zu nehmen. Obwohl das Buch zu umfangreich ist, um hier eine Zusammenfassung zu geben, möchte ich dem Leser in diesem Artikel auszugsweise einen Überblick über fünf Lehren verschaffen, in denen Vertreter des Wohlstandsevangeliums falsch liegen. Ich hoffe, dass die Leser diese grundlegenden Irrlehren erkennen und ihnen dadurch die Gefahren des Wohlstandsevangeliums vor Augen geführt werden. Es geht um Lehren, die sich um folgende Themen drehen: den abrahamitischen Bund, Sühne, Geben, Glauben und Gebet.

1. Der abrahamitische Bund berechtigt uns zu materiellem Reichtum

Der erste Irrtum des Wohlstandsevangeliums besteht in der Annahme, dass wir aufgrund des abrahamitischen Bundes Anspruch auf materiellen Wohlstand hätten.

Der abrahamitische Bund (1Mose 12151722) ist eines der theologischen Fundamente des Wohlstandsevangeliums. Es ist gut, dass Wohlstandstheologen einen Großteil der Schrift als Bericht der Erfüllung des abrahamitischen Bundes anerkennen. Aber es ist schlecht, dass sie keine konsistente, rechtgläubige Auffassung über diesen Bund haben. Sie halten an einer falschen Ansicht über dessen Beginn und – was noch gravierender ist – über dessen Anwendung fest.

Wie die Vertreter des Wohlstandsevangeliums den abrahamitischen Bund anwenden hat Edward Pousson sehr gut erklärt: „Christen sind die geistlichen Kinder Abrahams und Erben der Segnungen des Glaubens … Dieses abrahamitische Erbe wird vor allem durch materielle Ansprüche verwirklicht.4 Anders ausgedrückt lehrt das Wohlstandsevangelium, dass der Hauptzweck des abrahamitischen Bundes für Gott darin bestand, Abraham materiell zu segnen. Weil nun Gläubige Abrahams geistliche Kinder sind, haben sie diese finanziellen Segnungen von ihm geerbt.

Kenneth Copeland, ein anderer Lehrer des Wohlstandsevangeliums, erklärte: „Weil Gottes Bund nun etabliert wurde und Reichtum eine logische Konsequenz dieses Bundes ist, müssen wir verstehen, dass uns jetzt Reichtum zusteht!“5

Um diese Behauptung zu untermauern, ziehen Lehrer des Wohlstandsevangeliums gerne Galater 3,14 heran, welcher von den Segnungen Abrahams handelt, die in Christus Jesus über die Heiden kommen sollen. Interessant ist jedoch, dass sie in ihrer  Bezugnahme auf Galater 3,14 die zweite Hälfte des Verses ignorieren. Dort lesen wir: „…damit wir durch den Glauben den Geist empfingen, der verheißen worden war.“ Es geht Paulus in diesem Vers eindeutig darum, die Galater an den geistlichen Segen der Errettung und nicht an einen materiellen Segen des Reichtums zu erinnern.

2. Das Sühneopfer Jesu erstreckt sich auf die „Sünde“ der materiellen Armut

Ein zweiter theologischer Fehler des Wohlstandsevangeliums besteht in einer fehlerhaften Sichtweise auf Sühne.

Laut dem Theologen Ken Sarles behauptet das Wohlstandsevangelium, dass im Sühneopfer sowohl körperliche Heilung als auch finanzieller Wohlstand vorgesehen sind.6 Dies scheint eine zutreffende Beobachtung im Lichte des Kommentars von Kenneth Copeland zu sein, dass „das Grundprinzip des christlichen Lebens darin besteht, zu wissen, dass Gott unsere Sünde, Krankheit, Krankheit, Trauer, Trauer und Armut auf Golgatha auf Jesus gelegt hat.“7 Dieses Missverständnis über den Umfang des Sühneopfers rührt von zwei Fehlern her, die Befürworter des Wohlstandsevangeliums machen.

Erstens haben viele, die an der Wohlstandstheologie festhalten, eine grundlegend falsche Vorstellung vom Leben Christi. Der Lehrer John Avanzini zum Beispiel verkündete: „Jesus hatte ein schönes Haus, großes Haus“8, „Jesus hatte viel Geld“9 und er trug sogar „Designerkleidung“10. Es dürfte nicht schwer sein, zu sehen, wie eine solch verzerrte Sicht auf das Leben Christi zu einer verzerrten falschen Vorstellung vom Tod Christi führt.

Ein zweiter Irrtum, der zu einer falschen Sicht auf das Sühneopfer führt, ist eine Fehlinterpretation von 2. Korinther 8,9: „Denn ihr kennt ja die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er, obwohl er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet.“ Eine oberflächliche Lesart dieses Verses kann zu der Annahme verleiten, dass Paulus die Vermehrung des materiellen Reichtums lehrte. Im Kontext wird jedoch klar, dass er genau auf das Gegenteil abzielte. Tatsächlich aber lehrt Paulus die Korinther, dass sie im Dienst für ihren Erretter ihren Reichtum aufgeben sollten, weil Christus durch sein Sühneopfer so viel für sie getan hat. Aus diesem Grund forderte Paulus nur fünf kurze Verse später die Korinther auf, ihren Reichtum mit bedürftigen Brüdern zu teilen, als er schrieb: „damit auch ihr Überfluss eurem Mangel abhilft“ (2Kor 8,14).

3. Christen geben, um von Gott materiellen Ausgleich zu erhalten

Ein dritter Fehler des Wohlstandsevangeliums ist, dass Christen geben sollten, um von Gott materiellen Ausgleich zu erhalten. Eines der auffälligsten Merkmale der Wohlstandstheologen ist ihre scheinbare Fixierung auf den Akt des Schenkens. Studenten des Wohlstandsevangeliums werden aufgefordert, großzügig zu geben und werden mit frommen Aussagen wie „Wahrer Wohlstand ist die Fähigkeit, Gottes Macht zu nutzen, um die Bedürfnisse der Menschheit in jedem Bereich des Lebens zu befriedigen“11 und „Wir sind berufen, das Evangelium der Welt zu finanzieren“12 konfrontiert. Diese Aussagen scheinen zwar lobenswert zu sein, doch die Betonung des Gebens basiert auf Motiven, die alles andere als auf das Wohl des Menschen bedacht sind. Die treibende Kraft hinter dieser Lehre über das Geben ist das, was Wohlstandslehrer Robert Tilton als das „Gesetz der Entschädigung“ bezeichnete. Gemäß diesem Gesetz, das angeblich auf Markus 10,30 basiert,13 müssen Christen anderen großzügig geben, denn wenn sie es tun, gibt Gott im Gegenzug mehr zurück. Dies wiederum führt zu einem Kreislauf ständig steigenden Wohlstands.

Gloria Copeland erklärt: „Gib zehn Dollar und du erhältst 1.000 Dollar; Gib 1.000 Dollar und du bekommst 100.000 Dollar … kurz, Markus 10,30 ist ein sehr gutes Geschäft.“14 Es ist also offensichtlich, dass die Lehre des Wohlstandsevangeliums vom Geben auf falschen Motiven basiert. Während Jesus seinen Jüngern beibrachte, zu geben „ohne etwas dafür zu erhoffen“ (Lk 6,35), lehren Wohlstandstheologen ihre Nachfolger, zu geben, weil sie eine große Rendite erhalten.

4. Glauben ist eine selbst produzierte geistliche Superkraft, die zu Wohlstand führt

Ein vierter Irrtum der Wohlstandstheologie ist die Lehre, dass der Glaube eine selbst erzeugte geistliche Superkraft ist, die zu Wohlstand führt. Während das orthodoxe Christentum unter Glauben das Vertrauen in die Person Jesu Christi versteht, vertreten Prediger des Wohlstandsevangeliums eine ganz andere Lehre. In seinem Buch The Laws of Prosperity (dt. Die Gesetze des Wohlstands) schreibt Kenneth Copeland: „Glaube ist eine geistliche Kraft, eine geistliche Energie, eine geistliche Macht. Es ist diese Kraft des Glaubens, die dafür sorgt, dass die Gesetze der geistlichen Welt funktionieren. … Es gibt bestimmte Gesetze für den Wohlstand, die in Gottes Wort offenbart sind. Der Glaube bewirkt, dass sie funktionieren.“15 Dies ist offensichtlich ein fehlerhaftes, vielleicht sogar häretisches Verständnis des Glaubens.

Nach der Wohlstandstheologie ist der Glaube kein von Gott gewollter, auf Gott ausgerichteter Akt des Willens. Vielmehr ist er eine von Menschen geschaffene geistliche Kraft, die auf Gott gerichtet ist. Doch jede Theologie, die den Glauben ausschließlich als Mittel zum materiellen Gewinn und nicht als Mittel der Rechtfertigung vor Gott betrachtet, als fehlerhaft und unzureichend beurteilt werden.

5. Das Gebet ist ein Werkzeug, um Gott zu zwingen, Wohlstand zu gewähren.

Schließlich stellt das Wohlstandsevangelium das Gebet als ein Werkzeug dar, um Gott zu zwingen, Wohlstand zu gewähren. Wohlstandsprediger weisen oft darauf hin, dass wir „nicht haben, weil wir nicht bitten“ (Jak 4,2). Befürworter des Wohlstandsevangeliums ermutigen die Gläubigen, für persönlichen Erfolg in allen Lebensbereichen zu beten. Creflo Dollar schreibt: „Wenn wir beten und glauben, dass wir das, was wir beten, bereits erhalten haben, hat Gott keine andere Wahl, als unsere Gebete in die Tat umzusetzen. … Es ist ein Schlüssel, um als Christ Ergebnisse zu erzielen.“16

Gebete um persönlichen Segen sind sicherlich nicht von Natur aus falsch. Die Überbetonung des Menschen im Wohlstandsevangelium macht das Gebet jedoch zu einem Werkzeug, mit dem Gläubige Gott zum Erfüllen ihrer Wünsche zwingen können.

In der Wohlstandstheologie wird der Mensch – nicht Gott – zum Mittelpunkt des Gebets. Seltsamerweise ignorieren Wohlstandsprediger oft die zweite Hälfte der Gebetslehre von Jakobus, die lautet: „Ihr bittet und bekommt es nicht, weil ihr in böser Absicht bittet, um es in euren Lüsten zu vergeuden“ (Jak 4,3). Gott beantwortet keine selbstsüchtigen Anfragen, die seinen Namen nicht ehren.

Natürlich sollten wir alle unsere Bitten vor Gott kundwerden lassen (vgl. Phil 4,6). Das Wohlstandsevangelium aber konzentriert sich zu sehr auf die Wünsche der Menschen. Es kann Menschen dazu bringen, selbstsüchtige, oberflächliche Gebete zu beten, die Gott nicht ehren. Darüber hinaus kann diese Lehre in Verbindung mit der Wohlstandslehre des Glaubens dazu führen, dass Menschen versuchen, Gott zu manipulieren, um zu bekommen, was sie wollen – ein sinnloses Unterfangen. Das ist alles andere, als zu beten, dass Gottes Wille geschehe.

Ein falsches Evangelium

Im Lichte der Schrift ist das Wohlstandsevangelium grundsätzlich fehlerhaft. Im Grunde ist das Wohlstandsevangelium aufgrund seiner fehlerhaften Sichtweise der Beziehung zwischen Gott und Mensch tatsächlich ein falsches Evangelium. Einfach formuliert: Wenn das Wohlstandsevangelium wahr ist, ist Gnade unnötig, Gott irrelevant und der Mensch das Maß aller Dinge. Ob es um den Bund mit Abraham, die Sühne, das Geben, den Glauben oder das Gebet geht: Prediger des Wohlstandsevangeliums machen die Beziehung zwischen Gott und den Menschen zu einem „quid pro quo“-Geschäft (Nach diesem Prinzip soll jemand, der etwas gibt, dafür eine angemessene Gegenleistung erhalten, Anm. d. Red.). Wie James R. Goff bemerkte, ist Gott „auf eine Art ‚kosmischer Hotelpage‘ reduziert, der sich um die Bedürfnisse und Wünsche seiner Schöpfung kümmert.“17 Dies ist eine völlig unangemessene und unbiblische Sicht der Beziehung zwischen Gott und Mensch.


1 Tom Carter (Hrsg.), 2.200 Quotations from the Writings of Charles H. Spurgeon, Grand Rapids: Baker Book House 1988, S. 216. 

2 Robert Tilton, God’s Word about Prosperity, Dallas: Word of Faith Publications 1983, S. 6. 

3 David W. Jones und Russell S. Woodbridge, Health, Wealth, and Happiness: Has the Prosperity Gospel Overshadowed the Gospel of Christ?, Grand Rapids: Kregel 2010. 

4 Edward Pousson, Spreading the Flame, Grand Rapids: Zondervan 1992, S. 158. 

5 Kenneth Copeland, The Laws of Prosperity, Fort Worth: Kenneth Copeland Publications 1974*, S.* 51. 

6 Ken L. Sarles, „A Theological Evaluation of the Prosperity Gospel”, Bibliotheca Sacra 143 (Oct.–Dec. 1986), S. 339. 

7 Kenneth Copeland, The Troublemaker, Fort Worth: Kenneth Copeland Publications 1996, S. 6. 

8 John Avanzini, „Believer’s Voice of Victory”, Sendung auf TBN am 20.01.1991, zitiert in: Hank Hanegraaff, Christianity in Crisis, Eugene: Harvest House 1993, S. 381. 

9 Ebd., „Praise the Lord”, Sendung auf TBN am 15.09.1988, zitiert in: Hanegraaff, S. 381. 

10 Avanzini, „Believer’s Voice of Victory“. 

11 Kenneth Copeland, The Laws of Prosperity, S. 26. 

12 Gloria Copeland, God’s Will is Prosperity, Fort Worth: Kenneth Copeland Publications 1973*, S.* 45. 

13 Andere Verse, auf denen dieses „Gesetz“ basiert, sind Pred 11,12Kor 9,6 und Gal 6,7. 

14 Gloria Copeland, God’s Will, S. 54. 

15 Kenneth Copeland, The Laws of Prosperity, S. 19. 

16 Creflo Dollar, „Prayer: Your Path to Success“, 2.3.2009, online unter: http://www.creflodollarministries.org/BibleStudy/Articles.aspx?id=329 (Stand: 30.10.2013). 

17 James R. Goff Jr., „The Faith That Claims“, in: Christianity Today, **Nr. 34, 21.02.1990.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.

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