Evangelisation & Evangelium

Das Evangelium in den Mittelpunkt stellen

Von Bobby Jamieson

Bobby Jamieson ist Assistenzpastor in der Capitol Hill Baptist Church in Washington, DC. Der Artikel erschien zuerst bei 9Marks. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Artikel
03.02.2021

(ohne andere Themen zu vernachlässigen)

Wie geht man auf andere Themen neben dem Evangelium ein, ohne das Evangelium aus dem Fokus zu verlieren? Und demgegenüber: Wenn das Evangelium alles entscheidend ist, müssen wir dann überhaupt in irgendeiner Hinsicht „über das Evangelium hinaus gehen“? Das sind zwei der Fragen, die von der zunehmend lauter werdenden Bewegung unter Evangelikalen gestellt werden, die für die Zentralität des Evangeliums einstehen wollen.

Zuletzt habe ich mich mit einem möglichen Einwand gegen diese Bewegung auseinandergesetzt. In diesem Artikel möchte ich nun auf zwei gestellten Fragen eingehen. Auf die eine Frage möchte ich mit einem Rat antworten, auf die andere mit einer Warnung.

Zuallererst muss ich sagen, dass ich es wunderbar finde, dass evangelikale Christen den Schwerpunkt offensichtlich immer mehr auf das Evangelium legen. Diese zahlreichen Stimmen sagen zurecht, dass das Evangelium von zentraler Bedeutung für unsere Heiligung ist. Sie haben recht, dass der Indikativ des Evangeliums die Grundlage für die biblischen Imperative ist. Und es stimmt auch, dass wir nicht über das Evangelium hinausgehen, sondern immer tiefer in das Evangelium eintauchen. Das sind alles zutiefst biblische Argumente.

Zwei evangelikale „Ismen“: Essenzialismus und Reduktionismus

Dennoch könnte jemand einwenden: Wenn das Evangelium alles entscheidend ist, müssen wir dann überhaupt in irgendeiner Hinsicht „über das Evangelium hinaus gehen“?

Als Evangelikale sind wir zutiefst essentialistisch, d. h. auf das Wesen oder die Essenz der Dinge bedacht. Aus einer Reihe historisch bedingter Gründe neigen wir dazu, die Dinge auf ihr gebrauchsfähiges Minimum zu verschlanken und dann damit weiterzuleben. Wie ich oft sage, neigen wir dazu, die Dinge in zwei Kategorien einzuteilen: essentiell und unwichtig, also wesentlich und unwesentlich.

Eine Gefahr dieser neuen Bewegung ist demnach, dass das Evangelium (zurecht!) als essentiell verstanden wird, jedoch alles andere als „unwichtig“ abgestempelt wird.

Diese Tendenz zeigt sich gelegentlich darin, dass wir einander warnen, dass nichts und niemand das Evangelium in unserem Leben und unseren Gemeinden überstrahlen, überschatten oder ins Abseits drängen darf. Diese Warnung ist erforderlich und zutreffend. Wenn wir allerdings keinen Platz für eine dritte Kategorie neben „essentiell“ und „unwichtig“ finden, dann bringen wir das Evangelium selbst in Gefahr. Denn wir bewahren das Evangelium nicht allein dadurch, dass wir uns auf das Evangelium als solches konzentrieren. Vielmehr hat Gott eine ganze Reihe von biblischen Lehren und Praktiken eingesetzt, die für eben diesen Zweck erforderlich sind, und wir laufen Gefahr, wenn wir sie vernachlässigen.

Beispielsweise ist die Lehre von der Dreieinigkeit untrennbar mit dem Evangelium verbunden. Vater, Sohn und Geist spielen alle verschiedene Rollen bei unserer Errettung, was bedeutet, dass jede Verzerrung der Dreieinigkeit auch eine Verzerrung des Evangeliums ist.

Ein weiteres Beispiel: Die Wahrhaftigkeit der Schrift stellt eine feste erkenntnistheoretische Grundlage für das Evangelium dar. Unser Glaube an Christus ist darin verwurzelt, dass Gottes Wort wahr und zuverlässig ist.

Im Blick auf die Praktiken, die zum Schutz des Evangeliums eingesetzt sind, denke ich beispielsweise an die Gemeindemitgliedschaft und die Gemeindezucht. Wie Jonathan Leeman sagt, zeigt die Gemeindemitgliedschaft der Welt, welche Menschen Jesus repräsentieren, und schützt die Gemeindezucht den Namen Jesu.

Die Gemeindemitgliedschaft macht die Gruppe von Menschen erkennbar, die zum Evangelium gehören. Es zeigt der Welt: „Diese Menschen sind das Volk des Evangeliums. Sie sind das neue Volk, das vom Evangelium geschaffen wird.“

Und die Gemeindezucht schützt das Bild, das die Gemeinde für die Welt vom Evangelium abgibt. Sie bewahrt die Gemeinde davor, den Völkern ein falsches Bild vom Evangelium zu vermitteln. Das geschieht, indem die Gemeinde durch die Gemeindezucht erklärt, was ein Christ nicht ist. Sie sagt: „Das ist nicht das Leben, das aus dem Evangelium entspringt.“

Außerdem wird ganz richtig gesagt, dass die Gemeindezucht das Evangelium in Aktion darstellt. In Christus belässt uns Gott nicht in unserer Sünde. Auch sollten wir unsere Geschwister in der Gemeinde nicht in ihrer Sünde belassen. Vielmehr sollten wir auf sie zugehen und sie in Liebe zurechtweisen und an das Geschenk der Vergebung in Christus erinnern.

Diese Lehren und Praktiken sind neben vielen weiteren Beispielen eng mit dem Evangelium verknüpft. Sie sind naturgemäß miteinander verbunden. Wir können sie nicht außer Acht lassen, ohne unser Verständnis vom Evangelium und unser Zeugnis vom Evangelium in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen.

Daher nun meine Warnung: Stell das Evangelium in den Mittelpunkt (Zentralität des Evangeliums), aber pass auf, dass du dabei nicht andere wichtige Punkte als unwesentlich abtust (Essenzialismus). Denn das führt dazu, dass du das Evangelium losgelöst von den biblischen Lehren und Praktiken betrachtest, mit denen es naturgemäß verflochten ist (Reduktionismus). Ja, mach das Evangelium unbedingt zum Mittelpunkt deines Lebens und des Lebens deiner Gemeinde! Aber stell es nicht so dar, als wäre das Evangelium das Einzige, was eine Rolle spielt.

Zusammenhänge herstellen

Zurück zur ersten Frage: Wie geht man auf andere Themen neben dem Evangelium ein, ohne das Evangelium dabei zu verlieren? Wie geht man „über das Evangelium hinaus“, ohne vom Evangelium wegzugehen? Mit anderen Worten: Wie predigen und leben wir diese Dinge, ohne das Evangelium hinter uns zu lassen?

Hier also mein Rat: Wir tun es, indem wir fortwährend die Zusammenhänge zwischen dem Evangelium und unserer Lehre und Praxis herstellen.

In diesem Artikel haben wir das bereits getan. Die Dreieinigkeit, die Autorität der Schrift, Gemeindemitgliedschaft und Gemeindezucht sind allesamt naturgemäß mit dem Evangelium verbunden. Und das gilt auch für dutzende weitere entscheidende Lehren und Praktiken.

Als Gemeindeleiter kannst du also auf andere Themen neben dem Evangelium eingehen, ohne das Evangelium dabei zu verlieren, indem du diese naturgemäßen Verknüpfungen in deinen Predigten und Lehreinheiten ausdrücklich hervorhebst. Wir können auf andere Themen eingehen, ohne dass das Evangelium aus dem Fokus gerät, indem wir die Beziehung zwischen diesen Themen und dem Evangelium nachvollziehen.

Lehre also über Themen wie die Leitung durch Älteste, Erziehung, Endzeit, Beziehung oder Taufe – tue es in Anbetracht des Evangeliums und zeige deinen Zuhörern, wie all diese Themen mit dem Evangelium zusammenhängen. Auf diese Weise stehen die anderen Lehren und Praktiken nicht in Konkurrenz zum Evangelium. Sie gehen vielmehr Hand in Hand.

Lass das Evangelium im Mittelpunkt. Aber gehe auch auf die biblischen Lehren und Praktiken ein, mit denen es naturgemäß verflochten ist. Gib der Zentralität des Evangeliums Raum, ohne in einen Reduktionismus zu verfallen. Stell die Zusammenhänge zwischen dem Evangelium und allen anderen Dingen her, einschließlich der Struktur und dem gemeinsamen Leben der Ortsgemeinde.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.

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