Evangelisation & Evangelium

Afrika und das Wohlstandsevangelium

Von Ken Mbugua

Ken Mbugua ist Pastor der Emmanuel Baptist Church in Nairobi, Kenia.
Artikel
01.06.2023

Wir müssen leider feststellen, dass sich in viele Gemeinden Afrikas verzerrte Versionen des Evangeliums eingeschlichen haben, allen voran das Wohlstandsevangelium. Aber bevor wir das Problem des Wohlstandsevangeliums effektiv angehen können, müssen wir fragen: Weshalb ließen so viele afrikanische Gemeinden zu, dass dieses falsche Evangelium ungehindert eindringen konnte? Wo waren die Wächter, wo die Whistleblower? Und warum hört man bis heute von so vielen Kirchen, die mittlerweile einheimisch-afrikanische Kirchen geworden sind, ein solch ohrenbetäubendes Schweigen?

Das heutige Problem mit dem Wohlstandsevangelium wurzelt zu einem beträchtlichen Teil in einem ekklesiologischen Problem von gestern. Allgemein scheint es, als hätten die Evangelisationsbemühungen der vergangenen Jahre in Afrika keinerlei Mechanismen mitgebracht, durch die bekennende Christen das Evangelium vor der beständigen Gefahr der Verdrehung schützen können. Man hat sich zum Beispiel kaum um eine fundierte Lehre von der Bekehrung bemüht und darum, was sie für die Gemeindemitgliedschaft oder Kirchenzucht bedeutet. Ähnlich haben Missionare und Pastoren nicht danach gefragt, was das Evangelium mit Kirchenleitung zu tun hat oder mit der Verantwortung eines jeden Mitglieds, auf der Hut vor Irrlehrern zu sein, oder mit der Erfordernis, mehrere Älteste zu haben. Stattdessen wird das Evangelium als selbstverständlich vorausgesetzt und die afrikanische Kirche leidet darunter. Nach wie vor benötigt sie dringend Missionare und Gemeinden, die sowohl diese Probleme verstehen als auch bessere und biblischere Lösungen zu bieten haben.

Wo sind all die „Christen“?

Missionare, die in den erreichten Gebieten Afrikas arbeiten, stehen heute einer Gesellschaft gegenüber, die gegen das Evangelium immunisiert wurde. Die Städte sind voller Menschen, die getauft sind und in dieser oder jener Denomination als Gemeindemitglied gelistet werden. Damit wird ihnen ihr Status als Christen bestätigt, obwohl ihr Leben eine andere Sprache spricht. Es ist oft keinerlei Frucht von Geisteswirken oder Anzeichen eines Lebens in der Umkehr und im Glauben an Christus zu erkennen. Zum Beispiel würden sich 80 Prozent meiner kenianischen Landsleute als Christen bezeichnen, aber viele gehen nur unregelmäßig oder gar nicht zur Kirche. Sie meinen, sie bräuchten das Evangelium und die Kirche nicht, schließlich seien sie bereits „Christen“.

Andere, die vielleicht häufiger zur Kirche gehen, besuchen Gemeinden, in denen das Evangelium nicht klar gepredigt wird. Obwohl sie leidenschaftliche Anhänger ihrer Religion sind, hätte ein großer Teil dieser Gruppe Schwierigkeiten, das Evangelium auch nur in seiner elementarsten Form zu erklären. Was vor Jahrzehnten als gesunde, im Evangelium gegründete Arbeit begann, hat sich in vielen Fällen zu theologisch schwachen Gemeinden entwickelt, die nun unterschiedliche Spielarten des Wohlstandsevangeliums lehren.

Es ist kein Wunder, dass so manches falsche Evangelium in Afrika Verwüstung anrichtet und dass sich wenig bis gar kein Widerstand dagegen regt. Wenn die Gemeinden aus Menschen bestehen, die das Evangelium nicht kennen und die in vielen Fällen unwürdig des Evangeliums leben, dann können sie sich nicht selbst vor Zerrbildern schützen, mögen diese nun die Lehre des Evangeliums oder ein evangeliumsgemäßes Leben betreffen. Und sie sind erst recht nicht in der Lage, in ihrer Gemeinschaft Alarm zu schlagen wegen jener Fälschungen, die als Wahrheit verkleidet daherkommen.

Wir wissen, dass Gott treu bleibt – er hat die Seinen sehr wohl auch an diese Orte verteilt. Unser beständiges Gebet und unsere Hoffnung ist, dass er noch viel mehr solchen Nachwuchs erweckt, und dass dieser eines Tages die Gemeindelandschaft Afrikas prägen wird, damit das Wohlstandsevangelium hier aussterben möge. Aber noch besteht dieses Problem. Wie können wir so Mission betreiben, dass das Evangelium für die jetzige und die kommenden Generationen erhalten wird?

Genügt eine theologische Ausbildung?

Ein großer Teil der Missionsbemühungen konzentriert sich derzeit auf die theologische Ausbildung. Oftmals haben die Pastoren in den Städten keinerlei theologische Schulung. Im Allgemeinen wurde bei früheren Missionsaktivitäten kein besonderer Schwerpunkt auf die Zurüstung der Pastoren gelegt, denen man beim eigenen Weggang die Verantwortung übertrug. Dieses Fehlen von beständiger Jüngerschaft führte zu einer immer oberflächlicheren Theologie. Dadurch sind viele Ortsgemeinden für jeglichen Irrtum anfällig, der die heutige Gesellschaft infiziert.

Als Reaktion darauf werden nun auf dem ganzen Kontinent theologische Institutionen gegründet. Eine Fülle von Konferenzen und Schulungen wird angeboten. Wir versuchen, das Versäumte aufzuholen, nachdem wir erkannt haben, dass die missionarischen Bemühungen der Vergangenheit zwar hilfreich waren, um viele zum Herrn zu führen, sich aber als ungenügend erwiesen, das Evangelium für die nächste Generation zu bewahren. Man leistet dort gute Arbeit, und diese Arbeit ist dringend nötig. Aber trotz dieser verstärkten Bemühungen um die Pastorenausbildung fehlen unserem Kontinent immer noch qualifizierte Männer, um diese Ausbildung durchzuführen. Ebenso fehlen Ressourcen, um die Aufgabe zu Ende zu bringen.

Ein blinder Fleck bleibt

Zudem hemmt ein blinder Fleck diese löblichen missionarischen Aktivitäten: Die meisten Projekte im Bereich Gemeindegründung und Pastorenausbildung rücken die Ortsgemeinde zu wenig in den Fokus. Man betont die Systematische Theologie und andere Bereiche der christlichen Lehre, und das zu Recht. Doch die Ekklesiologie wird leider weiterhin einfach als gegeben vorausgesetzt und aus diesem Grund falsch verstanden. Diese Tatsache ist deshalb so traurig, weil es die Ortsgemeinden sind, die das Evangelium den kommenden Generationen zeigen und es für sie bewahren – nicht die Ausbildungsstätten, Konferenzen und theologischen Schulungszentren.

Paulus schrieb in einem stark ekklesiologisch ausgerichteten Brief an Timotheus:

„Dies schreibe ich dir in der Hoffnung, recht bald zu dir zu kommen, damit du aber, falls sich mein Kommen verzögern sollte, weißt, wie man wandeln soll im Haus Gottes, welches die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ (1Tim 3,14–15).

Die Art und Weise, wie eine Gemeinde ihr gemeinsames Leben gestaltet, hat außerordentlich viel damit zu tun, wie sie die Wahrheit bewahrt.

Der heutigen Generation Afrikas wäre sehr viel durch Gemeinden gedient gewesen, die nicht nur bereitwillig taufen, sondern die ebenso bereit sind, Menschen auszuschließen. Wenn eine Stadt von Menschen bevölkert ist, die zwar behaupten, Nachfolger Christi zu sein, aber ihr Leben unwürdig des Evangeliums führen, dann wird die Wahrheit des Evangeliums sowohl für diese als auch für die nächste Generation entstellt. Es ist nicht Gottes Absicht, die Wahrheit durch theologisch korrekte Bücher zu bewahren. Vielmehr wünscht er sich, dass sich diese Wahrheit in Menschenleben widerspiegelt, die sie gemeinsam in einer Ortsgemeinde ausleben.

Wir brauchen treue Gemeinden

Wenn wir Gemeinden heute lehren, dass sie Verantwortung tragen, dass sie nicht nur Zuschauer der Mission sind, sondern Wächter des Evangeliums, dann werden sie vielleicht den nächsten Pastor feuern, sobald er beginnt, Irrlehre zu predigen. Wenn wir Gemeinden lehren, dass Bekehrung mehr ist, als ein Gebet zu sprechen, wenn wir die Leute nicht mehr auffordern, nur nach vorne zu kommen oder die Hand zu heben, um Jesus anzunehmen, dann werden wir vielleicht kleinere Gemeinden haben. Vielleicht werden wir Gemeinden haben, die von der ehrfurchtgebietenden Gnade Gottes fasziniert sind statt von einem redegewandten, fehlgeleiteten Pastor im glitzernden Anzug. Vielleicht werden wir Gemeinden haben, die das Evangelium mit größerer Leidenschaft zur Ehre Gottes schützen.

Die Übel des Wohlstandsevangeliums und der unbekehrten „Christen“ sind nicht der Kern des Problems der Kirche Afrikas. Das sind nur Symptome eines grundlegenderen Problems. Gott möchte, dass die Ortsgemeinde auferbaut wird, sodass sie den unterschiedlichen Strömungen von Irrtümern standhalten kann. Das mag heute das Wohlstandsevangelium sein und morgen der Gnostizismus. Wenn wir die missionarischen Bemühungen stärker auf den Aufbau gesunder Gemeinden richten, wird dies dazu beitragen, das Evangelium für unsere Generation wie auch für die nächste zu bewahren.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.