Gemeinsames Leben

Warum die komplementären Rollen von Mann und Frau für die Jüngerschaft von echter Bedeutung sind.

Von Jonathan Leeman

Jonathan Leeman ist der Redaktionsleiter von 9Marks. Er ist Herausgeber der 9Marks Buchreihe sowie des 9Marks Journal. Jonathan lebt mit seiner Frau und seinen vier Töchtern in einem Vorort von Washington DC (USA) und ist Ältester der Cheverly Baptist Church.
Artikel
03.03.2021

Ein Verständnis der komplementären Rollen von Mann und Frau ist unerlässlich für die christliche Jüngerschaft, denn Pastoren und Gemeinden müssen Männern und Frauen verschiedene Bilder der christlichen Reife vor Augen halten.

Es ist leicht, von der einen oder der anderen Seite vom Pferd zu fallen, indem wir in der Jüngerschaft die Unterschiede zwischen Mann und Frau entweder übergehen oder überbetonen. Damit ein Konzept von christlicher Reife der Schrift in Gänze treu ist, müssen die Muster für eine männliche und eine weibliche Reife im Glauben gleich und doch anders sein.

Beispielsweise muss jeder Christ – egal, ob Mann oder Frau – ein Leben der Umkehr und des Glaubens führen. Jeder Christ muss in der Erkenntnis Gottes zunehmen. Jeder Christ muss Christus immer ähnlicher werden. Jeder Christ muss eins werden mit der Gemeinschaft der Gläubigen. Wenn das jedoch alles ist, was in der Sonntagsschule, in den Hauskreisen und in den sonntäglichen Predigten über die christliche Reife gelehrt wird, dann werden unausgesprochen die Unterschiede erstickt, die Gott zwischen Mann und Frau angelegt hat.

Drei Dinge sind notwendig, um die Jüngerschaft in eine komplementäre – und ich glaube: biblische – Richtung zu leiten: (1) eine theologische Vision dafür, wie sich die Reife im Glauben bei einem Mann äußern sollte und wie sie sich bei einer Frau äußern sollte; (2) gute Vorbilder in unseren Gemeinden dafür, was einen gottesfürchtigen Mann oder eine gottesfürchtige Frau ausmacht; (3) Hirten mit Strategien, um die Gemeinde in diese Richtung zu führen. Ich kann in diesem Rahmen nicht alle relevanten Einzelheiten ausführen. Ich hoffe, das andere inspiriert sein werden, sich dieser umfangreicheren Arbeit zu widmen. Hier einige Gedanken, um den Stein ins Rollen zu bringen:

EINE THEOLOGISCHE VISION FÜR DIE VERSCHIEDENEN LEBENSBEREICHE

Alles beginnt mit einer komplementären, theologischen Vision für die Jüngerschaft.

Im Bereich der Ehe erklären die Ältesten meiner Gemeinde Paaren in der Ehevorbereitung: Gemäß 1. Mose 1 sollen sowohl Mann als auch Frau ihr Leben danach ausrichten, Gottes Regentschaft und Herrschaft über die Erde umzusetzen. Doch laut 1. Mose 2 tun sie das auf unterschiedliche Weise. Der Mann ist auf den Garten ausgerichtet, während die Frau auf den Mann ausgerichtet ist und darauf ihm eine Gehilfin zu sein, die ihm entspricht. Ihre Aufgabe ist es, alle ihre Gaben und Talente auszuschöpfen, um ihn in seinem Verwalteramt zu unterstützen und zu fördern. Seine Aufgabe hingegen ist es, sie in ihren Gaben zu bestärken, damit sie zu voller Blüte für Gott kommen, statt sie wie der untreue Knecht, der die ihm anvertrauten Talente einfach vergrub, zu missachten und zu verbergen.

Es ist relativ leicht zu sehen, was dieses Prinzip für die Ehe bedeutet, wo es nur um einen Mann und eine Frau geht, deren Rollen als dienendes Haupt und starke Hilfe klar abgegrenzt sind. Doch was bedeutet es für eine unverheiratete Frau in der Gemeinde, da sie nicht dazu aufgerufen ist, sich jedem Mann so unterzuordnen, wie sich die verheiratete Frau ihrem eigenen Mann unterordnet? Was bedeutet es für eine verheiratete Frau auf der Arbeit? Was bedeutet es für einen verheirateten Mann im Umgang mit anderen Frauen in der Familie, in der Gemeinde, auf der Arbeit oder in der Öffentlichkeit.

Das sind die Art Fragen, bei der ein reifer, älterer Christ einem jüngeren Mann und eine reifere, ältere Frau einer jüngeren Frau weiterhelfen kann. Diese Art Fragen können z. B. in der Sonntagsschule, in den Hauskreisen und Bibellesegruppen der Gemeinde beantwortet werden.

Um eine umfassende „theologische Vision“ des Mannseins und des Frauseins zu gewinnen, müssen wir darüber nachdenken, in welchem Zusammenhang 1. Mose 2 zum Rest der Bibel und zu den jeweiligen Eigenschaften der verschiedenen Lebensbereiche (Familie, Arbeit, Gemeinde und Öffentlichkeit) stehen. Dann müssen wir unseren Geschwistern helfen, als christliche Männer und Frauen in diesen verschiedenen Bereichen zu leben.

BEISPIEL EINES LEBENSBEREICHES: DIE ORTSGEMEINDE

In der Ortsgemeinde scheint das Mannsein beispielsweise an die Lehre des Wortes geknüpft zu sein. Jeder christliche Mann sollte daher beigebracht bekommen, sich besonders darum zu bemühen, mehr von Gottes Wort zu verstehen und den Dienst des Wortes voranzubringen. Nicht jeder Mann hat die Gabe, die Gemeinde zu lehren, doch jeder Mann sollte lernen, das Wort an zumindest einem Ort (z. B. in der Familie) zu lehren. Und jeder Mann hat irgendeine Gabe (er ist z. B. ein guter Verwalter oder ist geschickt darin, Beziehungen aufzubauen), die er einsetzen kann, um den Wortdienst in der Gemeinde zu unterstützen.

Stell dir eine Gemeinde vor, wo die Männer nicht nur passiv anwesend sind und ihre Familien nach dem Gottesdienst schnell zum Auto scheuchen, sondern aktiv dabei sind und mit voller Kraft voranpreschen, um den Wortdienst zu voranzutreiben. Stell dir eine Gemeinde voller Männer vor, die sich tatkräftig auf der Kanzel, im Musikteam, im Kindergottesdienst, in den Diensten außerhalb des Gottesdienstes, in der Evangelisation, in der Fürsorge für Menschen am Rande der Gesellschaft usw. einbringen. Ich wage zu sagen, dass diese Art Gemeinde es den gottesfürchtigen Frauen leichter machen würde, als solche zu leben.

Mit anderen Worten: Die Frauen sind oft dazu gezwungen, in den Gemeinden die Initiative und Leitung zu ergreifen, weil die Männer es nicht tun. Doch in dem Maße, in dem sich die Männer der harten Arbeit im metaphorischen Garten der Gemeinde widmen und die Saat aussäen und den Boden bewirtschaften, liegt eine gute Arbeit vor den Frauen, wenn sie diesen Männern unterstützend zur Hand gehen. Sie tun das, indem sie der Leitung rechtschaffener Männer folgen, indem sie das Wirken des Wortes an die Orte tragen, die für die Männer schwerer zu erreichen sind, wie z. B. in das Leben von Kindern und jungen Mädchen.

Beachte, dass ich hier ein Beispiel dafür gegeben habe, wie sich biblische Männlichkeit und Weiblichkeit in einem bestimmten Lebensbereich unterscheiden: in der Ortsgemeinde. Wenn wir junge Christen im richtigen Umgang mit der Gemeinde lehren, sollten wir daher nicht geschlechtsneutral vorgehen, sondern sehr wohl auf die Unterschiede zwischen Männern und Frauen eingehen. Ja, es gibt Gemeinsamkeiten: Jeder sollte ein Interesse daran haben, das Wirken des Wortes zu fördern. Doch es gibt auch Unterschiede: Männer sollten beigebracht bekommen, Initiative zu ergreifen und Führung zu übernehmen, während Frauen beigebracht bekommen sollten, zu unterstützen, zu ermutigen und zu helfen.

In jedem Bereich – glaube ich mit Sicherheit sagen zu können – werden die Frauen besser dazu in der Lage sein, einer gottesfürchtigen Weiblichkeit nachzujagen, wenn sie von Männern umgeben sind, die einer gottesfürchtigen Männlichkeit nachjagen. Wenn die Frauen das nicht tun, müssen die Männer oft die Schuld bei sich selbst suchen.

HIRTEN MIT STRATEGIE

Ich werde jetzt von der theologischen Vision zur praktischen Strategie der Gemeindeleitung übergehen: Die Gemeindeleitung sollte diese verschiedenen Bilder oder Muster der christlichen Reife im Kinder- und Jugendprogramm, in den Männer- und Frauengruppen und im normalen Predigtdienst von der Kanzel lehren. Die Lehre der Gemeinde geschieht in mehr als einem Kontext, daher lohnt es sich, die verschiedenen Bereiche einzeln zu untersuchen. Ist die Lehre im jeweiligen Bereich geschlechtsneutral oder werden die biblischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern gefördert?

Neben der Lehre sollte die Gemeindeleitung außerdem gute Vorbilder der Gemeinde in Sachen biblische Männlichkeit und Weiblichkeit fördern. Welche Art Männer werden als Älteste anerkannt? Welche Frauen erwähnen die Pastoren in ihrer Fürbitte im Gottesdienst? Welche Männer und Frauen dürfen die Jugendarbeit leiten?

Allzu oft bleibt die Diskussion über die komplementären Rollen von Mann und Frau an den Grenzbereichen stecken. Beispielsweise hängen sich Leute daran auf, ob es z. B. angemessen ist, dann erwachsene Frauen in der Jugendarbeit auch männliche Teenager lehren. „Wo ist die Grenze?“, fragen sie. Wenn wir uns jedoch auf die Grenzen des Angemessenen konzentrieren, sind wir ein bisschen wie ein Paar, das sich fragt: „Wie weit dürfen wir körperlich vor der Ehe gehen? Dürfen wir Hände halten? Uns küssen?“

Solche Fragen haben ihren Platz, aber in erster Linie brauchen wir eine positive Aussage darüber, wie wir biblische Männlichkeit und Weiblichkeit unter jungen Männern und Frauen fördern können. Statt zu fragen: „Wie weit dürfen wir gehen?“, sollte ein Paar sich die Frage stellen: „Wie können wir einander am besten dienen und uns am besten auf die Ehe vorbereiten?“ Ebenso sollten wir in der Gemeinde fragen: „Wie können wir unseren Jugendlichen helfen zu reifen Männern und Frauen heranzuwachsen?“

Daher noch einmal die Frage: Ist es in Ordnung, wenn erwachsene Frauen heranwachsende junge Männer lehren? Ganz ehrlich bin ich mir nicht ganz sicher, wie angemessen das ist. Wobei ich mir allerdings sicher bin, ist, dass ich möchte, dass die Jungen lernen, was es für Männer heißt, in der Gemeinde die Initiative zu ergreifen. Und ich möchte, dass die Mädchen lernen, was es heißt, die männliche Leitung in der Gemeinde zu lieben, zu bekräftigen und zu unterstützen. Darum werde ich sehr vorsichtig sein, welche Vorbilder ich ihnen vorsetze. In den meisten Fällen werde ich mich dafür aussprechen, dass einige erwachsene Männer, die die Initiative ergreifen und Gottes Wort liebhaben, die ganze Gruppe lehren und einige Frauen, die reif im Glauben sind, sie dabei unterstützen und mitarbeiten.

DIE KOMPLEMENTÄREN ROLLEN VON MANN & FRAU UND DAS ZIEL VON JÜNGERSCHAFT

Allgemein sind die komplementären Rollen von Mann und Frau ungemein wichtig für die christliche Jüngerschaft, weil sie dieser eine Zielrichtung geben. Als Mann möchte ich den anderen Männern, mit denen ich Zeit verbringe, dabei helfen, besser zu verstehen, was es heißt, zu leiten und die Initiative zu ergreifen, mutig zu sein, zu beschützen, Opfer für andere zu bringen, die schwächer sind als man selbst, usw. Meine Frau möchte hingegen den Frauen, mit denen sie Zeit verbringt, dabei helfen, besser zu verstehen, was es heißt, zu unterstützen, zu helfen, zu fördern, Rat zu geben, Respekt und Bewunderung auszudrücken, gelegentlich auch zu ermahnen usw.

Ich möchte den Männern helfen, zu durchdenken, wie sie das in der Gemeinde, in der Familie und in anderen angebrachten Lebensbereichen umsetzen können. Sie möchte den Frauen helfen, zu durchdenken, wie sie das in der Gemeinde, in der Familie und in anderen angebrachten Lebensbereichen umsetzen können.

Die schwierigeren Fragen stehen noch aus: Wie sehen biblische Männlichkeit und Weiblichkeit in den vielen weiteren Lebensbereichen aus? Und wie fördern wir diese Lebensmuster durch Jüngerschaftsbeziehungen?

DIE KOMPLEMENTÄREN ROLLEN VON MANN & FRAU UND DAS EVANGELIUM

Ist es wirklich so wichtig, diese Unterschiede zu betonen? Ja! Gott hat diese Unterschiede bereits in der Schöpfung in 1. Mose 2 angelegt. Warum? Damit die ganze Schöpfung in der Ehe ein Bild vom Evangelium vor sich hat, wie Paulus später über die Liebe zwischen Ehemann und Ehefrau schreibt (Eph 5). Wenn eine Gemeinde Vorbilder biblischer Männlichkeit und Weiblichkeit hochhält, macht sie es daher den Menschen leichter, das Evangelium zu verstehen.

Ohne solche Vorbilder ist es einfach schwerer, das Evangelium zu erklären – ähnlich wie für den Bibelübersetzer bei einem indigenen Volk, der Jesus als das „Lamm“ Gottes bezeichnen will, doch die Menschen haben noch nie ein Lamm gesehen oder von dieser Art Opfer gehört. Ist es wirklich überraschend, dass der Teufel, der das Evangelium hasst, genauso die Unterschiede Männern und Frauen einebnen will, um so eines der Bilder für das Evangelium unkenntlich zu machen?

Natürlich kannst du auch ohne ein komplementäres Verständnis von Jüngerschaft an das Evangelium glauben, doch deine Sicht auf Jüngerschaft wird gegen diesen Glauben arbeiten und nicht für ihn.


Anmerkung des Herausgebers: Eine Fassung dieses Artikels ist erstmals in der Juli/August-Ausgabe des 9Marks Journal erschienen: Pastoring Women.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.