Predigen & Theologie

Homogenität neu überdenken

Von Aubrey Sequeira

Aubrey Sequeira ist in Südindien aufgewachsen. Er ist stellvertretender Pastor der Evangelical Community Church of Abu Dhabi und lehrt Theologie am Gulf Training Center in Dubai.
Artikel
01.05.2022

Das biblische Plädoyer für multiethnische Gemeinden

Ich bin Christ, Inder und ehemaliger Rockmusiker. Ich bin in Südindien aufgewachsen und war Teil einer ganz speziellen Subkultur meines urbanen indischen Schmelztiegels.

Als der Herr mich in meinem letzten Studienjahr berief, fand ich mich plötzlich von Menschen umgeben, die ganz anders waren als ich – Menschen verschiedenster Ethnien und Kulturen, die unterschiedliche Sprachen sprachen, unterschiedliche Speisen aßen und sogar völlig unterschiedliche musikalische Vorlieben hatten (man stelle sich vor: sie wussten nicht einmal, wer Deep Purple war!). Fühlte ich mich unwohl? Ja. Aber was mich damals erstaunt hat und mich heute noch immer erstaunt, sind nicht die grundlegenden Unterschiede und das „Anderssein“, die uns trennten. Nein, was mich erstaunte, waren die Einheit und Brüderlichkeit, durch die diese Menschen trotz aller Unterschiedlichkeit miteinander verbunden waren – eine Einheit und Brüderlichkeit, in die ich aufgenommen wurde durch meine Bekehrung zu Jesus Christus, der alle Barrieren durchbricht und alle Völker als Mitglieder seiner Hausgemeinschaft zusammenführt.

Sowohl in Nordamerika als auch in der weltweiten Missionsarbeit wird das „Prinzip der homogenen Einheit“ des Gemeindewachstums fraglos als der effektivste Weg angenommen, um Jünger zu vermehren und „strategisch vorteilhafte“ Gemeinden zu gründen.1 Gemeindewachstumsgurus behaupten, dass Gemeinden dann am schnellsten wachsen, wenn das Evangelium entlang bestehender sozialer Linien und Netzwerke verbreitet wird und Menschen keine ethnischen, kulturellen oder Klassengrenzen überschreiten müssen, um Christen zu werden.2 Menschen werden folglich in Gemeinden gruppiert, die sich durch ethnolinguistische Unterschiede, Stammes- oder Kastenunterschiede, sozialen und wirtschaftlichen Status, Bildungsniveau, Beruf oder sogar gemeinsame Vorlieben voneinander abgrenzen – so zum Beispiel Gemeinden für Cowboys oder Autorennsport-Liebhaber (Das ist keine Übertreibung. Google mal NASCAR-churches!). Das „Prinzip der homogenen Einheit“ des Gemeindewachstums besagt, dass solche homogenen Gemeinden schneller wachsen würden, weil sie Außenstehenden gegenüber, denen das Überschreiten kultureller, ethnischer oder anderer Grenzen unangenehm sein könnte, entgegenkommender seien. Dieses Prinzip der „strategischen“ Homogenität durchzieht zahlreiche Gemeindegründungsorganisationen und füllt ganze Seiten der Handbücher über Missions- und Gemeindegründungsstrategien. Aber befürwortet die Bibel Homogenität? Oder legt die Schrift eine andere Vision für die Ortsgemeinde dar?

Mein Ziel hier ist es, das „Prinzip der homogenen Einheit“ des Gemeindewachstums als falsch zu entlarven, indem ich aufzeige, dass dieser pragmatische Ansatz der apostolischen Vision von Gemeinde im Neuen Testament genau entgegengesetzt ist. Dabei werde ich argumentieren, dass die Gründung multiethnischer Gemeinden, wo immer es möglich ist, nicht nur der Schrift treuer ist, sondern dass multiethnische Gemeinden das herrliche Evangelium Jesu Christi noch besser zur Geltung bringen.3 Mit anderen Worten, Gemeinden sollten sich bemühen, so vielfältig zu sein wie die Gemeinschaften, in denen sie leben.

Eine (kurze) biblische Theologie von Gottes multiethnischem Erlösungsplan

Um den Kontext für die multiethnische Vision des neutestamentlichen Christentums festzulegen, werde ich kurz untersuchen, wie sich dieses Thema durch den biblischen Kanon zieht. Die sprachliche Vielfalt beginnt gemäß der Heiligen Schrift in Babel, wo Gott mit der Sprachenverwirrung auf die arrogante Rebellion der Menschheit reagierte (1Mose 11,1–9). Unmittelbar darauf sehen wir Gottes multiethnischen Erlösungsplan in seinem Bundesversprechen an Abraham, dessen zentraler Punkt die Segnung aller Nationen in Abrahams Samen ist (1Mose 12,1–322,15–18). Diese Verheißung wird in der späteren biblischen Abhandlung weiter zugespitzt, als David ein universelles Königtum verheißen wird, durch das Gottes Gesetz und Herrlichkeit auf der ganzen Erde errichtet werden (2Sam 7,19Ps 72,17–18). Die Propheten verdeutlichen diese Vision weiter, indem sie eine herrliche eschatologische Wiederherstellung voraussagen, in der ein neu zusammengestelltes und wiederhergestelltes Israel nicht nur aus ethnischen Juden bestehen wird, sondern aus allen Völkern, Stämmen und Nationen; diese werden Jahwe, den allein wahren und lebendigen Gott, anbeten und kennen (Jes 2,2–456,6–8Sach 8,20–23).

Das Neue Testament zeigt uns, dass sich Gottes Verheißung der globalen Erlösung in Christus erfüllt hat und die Grenze des Gottesvolkes nicht mehr durch jüdische Identität, sondern durch Buße und den Glauben an Jesus Christus gekennzeichnet ist. Israel wird in und durch den auferstandenen Messias, der den Neuen Bund durch sein Blut errichtet hat, gesammelt, wiederhergestellt und auferweckt. Der Glaube an Christus gewährt vollen Zugang zur Mitgliedschaft im neuen Bundesvolk Gottes. Dieser historische Lauf der Erlösung wird in der Apostelgeschichte beschrieben, wo uns Lukas zeigt, dass sich das Evangelium in sich erweiternden konzentrischen Kreisen ausbreitet, um diejenigen einzuschließen, die einst ausgeschlossen waren. Das Volk Gottes kommt in örtlichen Versammlungen zusammen, die das herrliche Evangelium Christi verkündigen und widerspiegeln. Und schließlich gipfelt das Neue Testament in der atemberaubenden Vision des Johannes von einer unzählbaren Menge erlöster Völker aus allen Stämmen, Sprachen und Nationen, die Jesus Christus einstimmig anbeten (Offb 7,9–10).

Die Heterogenität der apostolischen Gemeinden

Die biblisch-theologische Vision der globalen Erlösung hilft uns, das apostolische Gemeindemodell zu verstehen. Im Neuen Testament spiegelt sich die farbenreiche Herrlichkeit von Christi Erlösungswerk in der Gründung lokaler Gemeinden wider, die ethnische, kulturelle, sozioökonomische und sogar sprachliche Grenzen überschreiten.4 Diese auffallende Heterogenität des apostolischen Modells ergibt sich aus der durchgängigen und festen Überzeugung der Einheit in Christus, der die Gläubigen mit Gott und untereinander versöhnt hat (Gal 3,28Kol 3,11).5 Die „Andersartigkeit“ verschiedener Menschen wird von der „Einheit“ übertroffen, die diese Menschen in Jesus Christus teilen.

Als die frühe Kirche wuchs, sahen sich die Apostel mit mehreren Problemen konfrontiert, die sich aus der Vielfalt innerhalb der entstehenden Gemeinden ergaben. Trotzdem teilten sie diese nie in homogene Einheiten auf. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte formte sich die Gemeinde zu Pfingsten aus jüdischen Christen mit unterschiedlichsten kulturellen und sprachlichen Hintergründen (Apg 2,5–11). Apostelgeschichte 6,1–6 berichtet über Spannungen zwischen Angehörigen verschiedener kulturell-linguistischer Gruppen, nämlich den Juden der Diaspora (hellenistischen) und den syro-palästinensischen (hebräischen) Juden. Die Apostel reagierten darauf nicht mit einer strikten Trennung entsprechend der kulturellen Herkunft, sondern lösten die Probleme durch die Ernennung von Männern aus den jeweiligen Minderheitengruppen, damit diese weiter ihren Dienst verrichten konnten. Die These der heterogenen Beschaffenheit der frühen Kirche wird weiter untermauert durch den Bericht der Apostelgeschichte über eine Vielfalt der Leiterschaft in der Kirche von Antiochia (vgl. Apg 13,1). Zu dieser zählten ein ehemaliger Pharisäer (Paulus), ein ehemaliger Heide (Lucius), ein ehemaliger Levit (Barnabas), ein Mitglied des Hofes des Herodes (Manahen) sowie ein Mann dunkler Hautfarbe (Simeon, genannt Niger).

Im Römerbrief richtet sich Paulus an eine Gemeinde, die zweifellos aus Menschen unterschiedlicher Ethnien bestand, sowohl aus Juden als auch aus Griechen (Röm 7,111,13). Und er fleht sie an, des Evangeliums wegen in Liebe zusammenzuleben und ihre eigenen Vorlieben um ihrer Nächsten willen aufzugeben (Röm 13,8–1014,1–23). Hier wird deutlich, dass das Evangelium nicht nur Auswirkungen auf die individuelle Errettung hat, sondern auch auf die kollektive Heiligung – Gläubige müssen lernen, in Gemeinschaft mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenzuleben, indem sie dem Beispiel Christi folgen und andere über sich selbst stellen.

Im 1. Korintherbrief, in dem Paulus an eine Versammlung aus Mitgliedern sehr unterschiedlicher Herkunft schreibt, bekräftigt er ihre Einheit in Christus und ermahnt sie, das Wohl der anderen höher zu erachten als das eigene, sowie Einfühlsamkeit zu zeigen für das Gewissen schwächerer Brüder (1Kor 10,23–3312,12–13). In beiden Fällen ist die Frage nach getrennten Gemeinden mit homogenem Muster dem Denken des Paulus völlig fremd. „Strategische“ Überlegungen für eine effektivere Öffentlichkeitsarbeit oder eine ideale Wohlfühl-Atmosphäre haben niemals Vorrang gegenüber dem gemeinsamen Leben in Jesus Christus. Vielmehr fördert die Überzeugung, dass die Gläubigen eine neue Schöpfung in Christus sind, die christliche Einheit innerhalb der Gemeinde, da die Gläubigen einander so lieben, wie Christus sie geliebt hat. Tatsächlich verkündet Paulus, dass die vielfältige Weisheit und Herrlichkeit Gottes gerade durch die Einheit so unterschiedlicher Menschen in der Gemeinde besonders sichtbar wird (Eph 3,1–10).

Die frühe Kirche hat auch die sozialen und wirtschaftlichen Klassenunterschiede radikal niedergerissen. Paulus untergräbt die soziale Ordnung der Sklaverei, indem er Sklaven und Herren ermahnt, als Brüder in Christus in einer Gemeinde zusammenzuleben (1Kor 7,17–24Phlm 8–16). Der Glaube an Christus verwischt den sozialen Status als Grenze zur Gemeinschaft. Ebenso fordert Jakobus, dass den Reichen kein Ansehen der Person oder gar eine Sonderbehandlung zuteil wird. Jakobus geht davon aus, dass reiche und arme Menschen in Einheit zusammenleben und nicht nach sozioökonomischen Gesichtspunkten in homogene Einheiten aufgeteilt werden sollten (Jak 2,1–9). Das Neue Testament zeigt uns auch, dass Gemeinden sich aus mehreren Generationen zusammensetzten und die jüngeren gemeinsam mit den älteren Menschen in Gemeinschaft, Einheit und aufopferungsvollem Dienst lebten (1Tim 4,125,1–16Tit 2,1–81Joh 2,12–14).

Das apostolische Modell multiethnischer, heterogener Gemeinden beschränkt sich nicht auf das Neue Testament, sondern wird auch durch die Zeugnisse der frühchristlichen Geschichte gestützt. Wie David Smith sagt: „Es war gerade der heterogene, multiethnische Charakter der Gemeinde, der sich auf die geteilte römische Welt auswirkte und zum Wachstum der christlichen Bewegung führte”.6 Während die Homogenität in den Gemeinden lediglich den Status quo der Gesellschaft stärkt, zeigen uns die biblischen Beweise, dass das Evangelium auf eine in der Geschichte nie zuvor gesehene Weise ethnische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Barrieren niedergerissen und überwunden hat.

Die neutestamentliche Polemik gegen Ethnozentrismus

Ein weiterer Grund, weshalb Homogenität dem Neuen Testament zuwiderläuft, besteht in ihrer Förderung und Verstärkung einer ethnozentrischen Denkweise. Immer wieder bemerken wir, wie sich das NT dem Ethnozentrismus entgegenstellt und folglich ein Mandat für Gläubige mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund erteilt, einander liebevoll anzunehmen und in den Ortsgemeinden in Harmonie zusammenzuleben.7 Paulus besteht felsenfest darauf, dass Juden und Heiden durch das Blut Jesu Christi mit Gott versöhnt wurden, so dass in Christus „nicht Grieche noch Jude ist, weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit, [noch] Barbar, Skythe, Knecht, Freier – sondern Christus alles und in allen“ (Kol 3,11). Christus hat die „Scheidewand des Zaunes“ abgebrochen und Juden und Heiden „in einem Leib durch das Kreuz“ mit Gott versöhnt (Eph 2,14–16). Gläubige sind Teil von Gottes neuer Schöpfung. Sie waren einst alle Sünder in Adam, sind aber jetzt eine neue Menschheit in Christus.

Am deutlichsten wird das Problem in Galater 2, als Paulus Petrus wegen seiner Absonderung von den Heiden zurechtweist (Gal 2,11–16). Einige jüdische Christen aus Galatien, allen voran Petrus, fürchteten die Reaktion der Juden, die durch das Teilen der Tischgemeinschaft mit den Heiden Anstoß nehmen könnten. Aber Paulus besteht darauf, dass diese Art des Rückzugs eine Beleidigung des Evangeliums selbst ist (Gal 2,15–21). Hier hat die Annahme der Heiden – also einer anderen ethnischen Gruppe – als Mitglieder der Familie Gottes, ausgedrückt durch das Pflegen der Tischgemeinschaft, klar Vorrang gegenüber dem pragmatischen Ansatz, andere nicht zu beleidigen.

Auch im Römerbrief greift Paulus die Wurzel des Ethnozentrismus an. Er beteuert die universelle menschliche Verdorbenheit sowie die Heilskraft des Evangeliums, die offenbar wird im göttlichen Werk der Rechtfertigung für Juden und Heiden in Christus (Röm 1–3). Alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit Gottes und werden aus Gnade durch den Glauben an Christus gerechtfertigt (Röm 3,21–26). Alle werden Kinder Abrahams durch Glauben an den Gott, der die Gottlosen rechtfertigt (Röm 4). Alle werden verurteilt in Adam, und alle sind gerechtfertigt in Christus (Röm 5,12–21). Paulus warnt sowohl Juden als auch Heiden, nicht überheblich zu sein, sondern Gottes Gnade für beide Völker zu erkennen (Röm 2,17–29Röm 11,17–24). Die Anhaltspunkte aus dem Römerbrief weisen darauf hin, dass Paulus zweifelsohne an eine heterogene Gemeinde schrieb und sie dazu anhielt, ethnischen Stolz beiseite zu legen und in christlicher Einheit zusammenzuleben.

Doch die Polemik gegen den Ethnozentrismus beschränkt sich nicht auf Paulus; sie ist auch in den Evangelien allgegenwärtig. Jesus kritisiert den ethnozentrischen Stolz der Pharisäer, indem er mit Heiden, Steuereintreibern und Sündern verkehrt. Und es ist die durchgängige Lehre der Evangelien, dass das Bürgerrecht im Reich Gottes nicht durch ethnische Identität, sondern durch den Glauben an Jesus Christus erlangt wird.8 Der Aufruf zur Buße schließt einen Aufruf zur Buße von ethnischem und rassischem Stolz ein. John Piper formuliert es so: „Der Glaube an Jesus übertrumpft die ethnische Zugehörigkeit”.9 Und er führt gleich mehrere Beispiele für dieses Thema in den Evangelien an: das Lob des Glaubens des Hauptmanns (Mt 8,5–13), die Geschichte des barmherzigen Samariters (Lk 10,33), die Heilung der zehn Aussätzigen, von denen nur der Fremde zurückkehrte, um zu danken (Lk 17,16), die Heilung der Tochter des Syrophöniziers (Mk 7,26), die Reinigung des Tempels (Mk 11,17). Jesus hatte offensichtlich keine Angst, den ethnozentrischen Stolz der Pharisäer zu verletzen.

Nur um es gleich vorwegzunehmen, Befürworter des „homogenen Einheitsprinzips“ argumentieren, dass sie keinen ethnozentrischen Stolz unter Christen befürworten. Stattdessen behaupten sie, dass homogene Gemeinden kulturell sensibler und entgegenkommender gegenüber Ungläubigen seien, die sich möglicherweise unwohl fühlten, kulturelle Barrieren zu überschreiten. Mit anderen Worten, Befürworter der Homogenität halten es für strategischer, kulturelle Barrieren für das Evangelium durch die Gründung monoethnischer und monokultureller Gemeinden zu beseitigen. Es ist jedoch zu optimistisch, ja geradezu naiv, anzunehmen, dass sündige Menschen, die eine angeborene Neigung zu ethnozentrischen Vorurteilen haben, diese irgendwie überwinden könnten, ohne dazu aufgerufen zu sein, in Gemeinschaft mit denen zu leben, die anders sind als sie.10 Das Neue Testament belegt klar, dass Jesus und die Apostel dem Ethnozentrismus der Ungläubigen nicht entgegenkommen; stattdessen schließen sie den Aufruf zur Buße von Ethnozentrismus sowie die Annahme derer, die „anders“ sind, als integrale Bestandteile in ihre Evangeliumsbotschaft mit ein. Während das „Prinzip der homogenen Einheit“ den Versuch betont, Menschen zu gewinnen, indem man ihre ethnozentrischen Sensibilitäten nicht verletzt, ist Jesu Ansatz radikal anders – Christus legt die Axt an die Wurzel des ethnischen Stolzes.11

Waren neutestamentliche Gemeinden „monoethnisch“?

Donald McGavran, Vater der Church Growth–Bewegung, der das „Prinzip der homogenen Einheit“ formulierte, argumentierte, dass „neutestamentliche Gemeinden bemerkenswert monoethnisch waren“.12 McGavran beteuerte, dass sich die Apostel unter dem Einfluss des Heiligen Geistes nach dem Vorbild homogener Einheiten vorwärts bewegten und zunächst hauptsächlich Juden erreichten, wodurch die Gemeinde rasch an Größe zunahm: „Solange Juden innerhalb des Judentums Christen werden konnten, konnte die Gemeinde unter den Juden erstaunlich wachsen und tat dies auch … So konnten also jene innerhalb der Synagoge Christen werden, und zwar frei von jeglichen Rassen- und Klassengrenzen”.13

Daher müssen wir uns natürlich mit der Frage befassen, ob dies einem guten Verständnis des Neuen Testaments entspricht. Ich behaupte, dass McGavrans Interpretation der Anhaltspunkte verzerrt ist, weil er übersehen hat, wie Lukas anhand der Apostelgeschichte das heilsgeschichtliche Handeln als etwas schrittweise sich Entfaltendes illustriert.14 Die Apostel ließen sich nicht von einem „homogenen Einheitsprinzip“ leiten – dies wird offensichtlich aus der kulturellen und sprachlichen Vielfalt der Juden am Pfingsttag sowie der Heterogenität der einzelnen Gemeinden, die gegründet wurden, nachdem Heiden in die Gesamtkirche aufgenommen worden waren. Lukas schildert in der Apostelgeschichte den heilsgeschichtlichen Fortschritt der kirchlichen Mission. Worauf es ihm ankommt, ist, dass das von den Aposteln verkündigte und vom Heiligen Geist mit Kraft versehene Evangelium schier unüberwindliche Grenzen überschreitet, wenn das Volk Gottes zu den Füßen des auferstandenen Christus versammelt wird. So haben Donald McGavran und die Church Growth-Bewegung eine fehlerhafte Lesart der Heiligen Schrift benutzt, um Homogenität zu unterstützen, indem sie dem Text einen vorgefassten pragmatischen Rahmen auferlegten.

Fazit

Das apostolische Gemeindemodell im Neuen Testament weist darauf hin, dass Gemeinden nach Möglichkeit nicht nach ethnischer Zugehörigkeit, Kultur, Klasse, Alter oder Affinitätsgruppen gegründet oder aufgeteilt werden sollten. In einigen Fällen mögen sprachliche Differenzen separate Gemeinden erforderlich machen. Aber selbst in diesen Fällen – vorausgesetzt es gibt eine Lingua franca, in der Menschen kommunizieren können – müssen sprachliche Unterschiede nicht unbedingt eine Trennung erforderlich machen.

Die Herrlichkeit Christi wird am deutlichsten dann sichtbar, wenn Außenstehende die durch das Kreuz geprägte und kulturübergreifende Liebe und Einheit beobachten, die Gläubige mit unterschiedlichsten Hintergründen miteinander verbindet. Der pragmatische Wunsch nach schnell wachsenden und sich vermehrenden Gemeinden sollte nicht auf Kosten der Einheit gehen, die Christus mit seinem Blut teuer erkauft hat. René Padilla bringt dies auf den Punkt:

„Es mag stimmen, dass ‚Menschen gerne Christen werden, ohne Rassen-, Sprach- oder Klassengrenzen zu überschreiten‘, aber das ist belanglos. Die Mitgliedschaft im Leib Christi ist nämlich keine Frage von Vorlieben oder Abneigungen, sondern der Eingliederung in die neue Menschheit unter der Herrschaft Christi. Ob es uns nun gefällt oder nicht, indem wir mit Gott versöhnt werden, werden wir zugleich in eine Gemeinschaft eingeführt, in der die Menschen ihre Identität nicht mehr in ihrer Rasse, Kultur, sozialen Schicht oder ihrem Geschlecht finden, sondern in Jesus Christus. Sie werden folglich untereinander versöhnt“.15

Bin ich gegen schnelles Wachstum und Vermehrung? Auf gar keinen Fall! Aber es ist mein Herzensanliegen, eine Vielzahl von Volksgruppen für Christus zu gewinnen. Aber ich bitte die Arbeiter des Evangeliums, zu berücksichtigen, dass uns nirgendwo im Neuen Testament geboten wird, Gemeinden nach Volksgruppen aufzutrennen. Wie wir gesehen haben, weist die Schrift in die entgegengesetzte Richtung – Menschen aus verschiedenen Stämmen, Sprachen und Nationen werden dem einen Volk Gottes hinzugefügt, um Gott in Gemeinschaft und Harmonie als ein Königreich von gottgeweihten Priestern anzubeten. Möge also die Gemeinde weiterhin auf die Versöhnung der Rassen hinarbeiten, während wir erkennen, dass es in Christus weder „Farbige“ noch „Ku-Klux-Klans“ gibt. Mögen wir auch erkennen, dass es in Christus weder „Brahmane“ noch „Dalit“ noch „Tutsi“ noch „Hutu“ gibt. Möge sich unsere Einheit in der demographischen Zusammensetzung unserer Gemeinden als Ausdruck der vielfältigen Weisheit Gottes widerspiegeln, der uns durch das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus mit sich selbst versöhnt hat (Eph 3,10). Möge Er den Ruhm und die Ehre erhalten, die Ihm gebühren!


1 Dieser Artikel enthält mehrere bearbeitete und modifizierte Auszüge aus dem Artikel des Autors, „Caste and Church Growth: Assessment of Donald McGavran’s Church Growth Principles from An Indian Perspective“, in: The Southern Baptist Journal of Missions and Evangelism.

2 Donald A. McGavran, Understanding Church Growth, Grand Rapids: Eerdmans, 1970, S. 190–211.

3 Natürlich beziehe ich mich nicht auf monoethnische Kontexte, wie ländliche Regionen oder sogar Vororte Amerikas, wo die Demographie des Kontexts überwiegend von einer Kultur/Ethnie stammt und daher monoethnische Gemeinden unvermeidlich sind. Ich beziehe mich speziell auf Kontexte, in denen mehr als eine Kultur/Ethnie vertreten ist. Aber auch in monoethnischen Kontexten glaube ich nicht, dass Gemeinden nach Klassen, Alter oder Affinität homogen aufgebaut werden sollten.

4 Siehe die prägnante Kritik und gründliche Widerlegung von McGavrans homogenem Einheitsprinzip durch den lateinamerikanischen Theologen C. René Padilla, „The Unity of the Church and the Homogeneous Unit Principle“, in: International Bulletin of Missionary Research, Nr. 6 (1981), S. 23–30. Ein Großteil meiner Erörterung hier ist Padillas überzeugender und eindringlicher Untersuchung der biblischen Belege zu verdanken.

5David Smith, „The Church Growth Principles of Donald McGavran“, in: Transformation, Nr. 2 (1985), S. 27.

6 Ebd., S. 28. Vgl. Michael Green, Evangelism in the Early Church, Grand Rapids: Eerdmans, 2004.

7 Eine erneute Betonung der neutestamentlichen Polemik gegen den Ethnozentrismus war einer der hilfreichen Beiträge (trotz anderer Probleme) der sogenannten Neuen Paulusperspektive. Siehe zum Beispiel N.T. Wright, Paul and the Faithfulness of God, Bd. 2, Minneapolis: Fortress Press, 2013, S. 774–1038.

8 Siehe die ausgezeichnete Erörterung von John Piper in Bloodlines, S. 115–127.

9 Ebd., S. 118.

10 Dies wird leider durch meine eigene Erfahrung mit mehreren monoethnischen Gemeinden auf der ganzen Welt sowie durch die schmerzlichen Erfahrungen von Freunden in der pastoralen Arbeit in Indien bestätigt. In direkter Missachtung von 2Kor 6,14–18 ziehen die Menschen zum Beispiel die Ehe mit Ungläubigen derselben ethnischen Gruppe/Kastengruppe der Ehe mit Gläubigen anderer ethnischer Gruppen vor. Manchmal, wenn sich zwei Gläubige lieben und den Wunsch haben, über Kasten- oder Rassengrenzen hinweg zu heiraten, zeigt sich das hässliche Gesicht ethnozentrischer Vorurteile, wenn ihre bekennenden christlichen Familien eine solche Mischehe ablehnen. Anscheinend hat das „Prinzip der homogenen Einheit“ sündige ethnozentrische Vorurteile in einem Volk, das vorgibt, Christus zu kennen, gefördert und verstärkt.

11 Einige Befürworter der Homogenität argumentieren, dass in vier Punkten keine Parallele zwischen der Kluft, die Juden und Nichtjuden voneinander trennt, und modernen rassischen, ethnolinguistischen und kulturellen Klüften gezogen werden sollte: (1) „Jude“ und „Heide“ sind nicht in erster Linie ethnische Begriffe; (2) die Trennung zwischen Juden und Nichtjuden war im Gegensatz zu modernen ethnischen Trennungen im Gesetz verwurzelt; (3) die kulturelle Distanz zwischen Juden und Heiden in der NT-Zeit war nicht so groß wie die kulturelle Distanz zwischen den Ethnien heute, und (4) Juden kämpften darum, die Erlösung der Heiden anzunehmen, was in der heutigen christlichen Landschaft nicht der Fall ist. Richard W. Hardison, „A Theological Critique of the Multi-Ethnic Church Movement: 2000–2013“, Ph.D. Diss., The Southern Baptist Theological Seminary, 2014, S. 117. Erstens waren „Jude“ und „Heide“ nicht in erster Linie ethnische Unterscheidungen, sondern vor allem religiöse Unterscheidungen, die im Gesetzesbund verwurzelt waren. Doch die Feindschaft zwischen Juden und Nichtjuden war mehr als nur religiös; sie erstreckte sich auf Kultur, Sprache und Ethnizität. Die Vorstellung, dass Juden und Heiden keine große kulturelle Distanz teilten, ist einfach falsch, wie jeder Überblick über die Literatur des Judentums des zweiten Tempels zeigt. Schließlich ist es wahr, dass Juden sich schwer getan haben, die Erlösung der Heiden anzunehmen, was heute nicht der Fall ist. Doch der Ethnozentrismus der Juden ist durchgehend parallel zum Ethnozentrismus aller Menschen, aus dem einfachen Grund, weil wir gefallene Menschen sind, die damit kämpfen, in Gemeinschaft mit denen zu leben, die anders sind als wir, und diese zu akzeptieren. Daher gibt es, trotz einiger Diskontinuitäten zwischen der Kluft zwischen Juden und Nichtjuden und modernen ethno-kulturellen Grenzen, genügend Kontinuitätspunkte, um die Parallele zu rechtfertigen. Darüber hinaus erweitert das Neue Testament den Aufruf zur Einheit über „Jude“ und „Heide“ hinaus und umfasst Kategorien wie „Barbaren“ und „Skythen“, die ethnolinguistische Kategorien sind (Kol 3,11). Im Neuen Testament übertrumpft die Einheit in Christus alle anderen Identitätsfragen, und der Ruf, den „anderen“ anzunehmen, umfasst alle Kategorien von „Andersheit“ und nimmt Gestalt an im Sinne des gemeinsamen Lebens in der Ortsgemeinde.

12 Donald A. McGavran, „The Priority of Ethnicity“, in: Evangelical Missions Quarterly, Nr. 19 (1983), S. 15.

13 Donald A. McGavran, Understanding Church Growth, Grand Rapids: Eerdmans, 1970, S. 190–211.

14 Padilla merkt an: „Die Aufzeichnungen von Lukas untermauern jedoch nicht die These, dass die Apostel bewusst die Bildung von ‚Einrassen-Gemeinden‘ förderten und jüdische Vorurteile gegenüber den Heiden um des zahlenmäßigen Gemeindewachstums willen tolerierten. Um zu behaupten, dass dies der Fall sei, müsse man die Heilige Schrift mit der vorgefassten Meinung lesen, (1) dass die Apostel die moderne Theorie teilten, dass Rassenvorurteile „zur Christianisierung beitragen können und sollten“ und (2) dass die Vermehrung der Gemeinde immer eine Anpassung an das homogene Einheitsprinzip erfordere. Ohne diese ungerechtfertigte Annahme kann man den Hinweis der Apostelgeschichte kaum übersehen, dass die Ausweitung des Evangeliums auf die Heiden für die Jerusalemer Gemeinde ein so schwerer Schritt war, dass er nur mit Hilfe von Visionen und Geboten erfolgte (Apg 8,26 ff.10,1–16) oder unter Verfolgungsdruck (Apg 8,1 ff.11,19–20). Es wird niemals behauptet, dass jüdische Christen das Evangelium aus strategischen Erwägungen ‚niemandem außer Juden‘ predigten.“ Padilla, Unity of the Church, S. 25 (Hervorhebung Original).

15 Padilla, Unity of the Church, S. 24.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.

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