Predigen & Theologie

Biblische Theologie und Verkündigung des Evangeliums

Von Jeramie Rinne

Jeramie Rinne ist Autor und der leitende Pastor Evangelical Community Church in Abu Dhabi in den VAE. Der Artikel erschien zuerst bei 9Marks. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Artikel
03.02.2021

Kann die Auslegungspredigt evangelistisch sein?

Prediger scheuen sich manchmal davor, Bücher der Bibel in ihren Predigten auszulegen, da sie denken, dass das zwar gut ist, um reife Christen in Theologie zu lehren, jedoch sei es schlecht für Ungläubige, das Evangelium zu verstehen.

Diese Befürchtung ist umso größer, wenn ein Pastor darüber nachdenkt, ein alttestamentliches Buch zu predigen. Wie könnte ein Studium über das Leben Abrahams oder eine Predigtserie über Haggai das Evangelium klar verständlich machen – Sonntag für Sonntag? Sollen wir einfach eine evangelistische Floskel an das Predigtende anhängen? „Für unsere nichtchristlichen Freunde, die heute hier sind, möchte ich diese Botschaft über Abrahams Beschneidung damit beenden, euch zu sagen, wie ihr das freie Geschenk des ewigen Lebens empfangen könnt.“ Das wäre die Überleitung zum Altarruf. 

Es gibt einen anderen, deutlich natürlicheren Weg, das Evangelium treu Sonntag für Sonntag zu verkündigen. Nämlich mit Biblischer Theologie. 

Die große Geschichte

Was ist Biblische Theologie? Wir könnten es als das Studium der gesamten biblischen Geschichte definieren. Gemeinsam erzählen uns die 66 Bücher der Bibel die eine Geschichte der Mission Gottes, Menschen zu retten und für seine Herrlichkeit ein Königreich aufzubauen, durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Das Alte Testament bereitet die Bühne vor und führt uns zu Jesus. Das Evangelium offenbart ihn und sein Werk. Der Rest des Neuen Testaments entfaltet die Auswirkungen des Todes und der Auferstehung Jesu, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Gott seine Mission erfüllt. Je mehr wir diese allumfassende Geschichte begreifen, desto mehr können wir sehen, wie unser Predigttext zum Evangelium passt. 

Einen Abschnitt aus der Schrift zu predigen,  mit dem Blick auf die Biblische Theologie, ist so, wie einen Blick für das gesamte Basketballfeld zu haben. Gute Basketballspieler fokussieren sich nicht nur auf das Dribbling bis zum Korb. Sie sind sich der Position ihrer Mitspieler und der Verteidiger auf dem Spielfeld bewusst sowie des Spielflusses. Ähnlich ist es mit guter Auslegung. Sie ist nicht einfach ein Kommentar, der alle Verse des Abschnittes abarbeitet. Nein, sie hat ebenfalls einen Blick für das, was vor und nach dem Textabschnitt geschieht und wie dies mit dem generellen Fortschreiten von Gottes Geschichte verknüpft ist.

Biblische Theologie in Aktion

Lass uns auf ein paar biblisch-theologische Strategien schauen, die wir benutzen können, um unseren Abschnitt mit der gesamten biblischen Geschichte zu verknüpfen. Du könntest diese Strategien als mögliche Wege betrachten, die uns von unserem Text zum Evangelium bringen, genauso wie mögliche Routen auf einer Handy-App, die dich von deinem jetzigen Standort zum gewünschten Ziel leiten. 

1. Verheißung und Erfüllung

Wir beginnen mit dem einfachsten und direktesten Weg zum Evangelium. Bezüglich Verheißung und Erfüllung beinhaltet der Text, den du studierst, eine Prophetie oder ein Versprechen, die explizit durch das Evangelium erfüllt worden sind. Die Verheißung und die Erfüllung sind die niedrig hängenden Früchte biblischer Theologie: Leicht zu sehen und zu pflücken. 

Wenn du also von Michas Prophetie über einen kommenden Herrscher aus Bethlehem predigst, kannst du sehr einfach die Gemeinde dazu einladen, Matthäus 2,6 aufzuschlagen und zu sehen, wie es in der Geburt Jesu erfüllt worden ist. Oder wenn du dich dazu entscheidest, das Leben Abrahams auszulegen, dann solltest du an irgendeiner Stelle Gottes Verheißung, Abrahams Nachkommenschaft oder „Samen“ zu segnen, mit der dazugehörigen Erfüllung in Jesus verbinden. 

Daran angeknüpft – um uns offensichtliche Wege zum Evangelium zu geben – zeigen uns die Verheißung und die Erfüllung auch, wie die neutestamentlichen Autoren das Alte Testament im Licht des Evangeliums interpretiert haben. Je mehr wir es lernen, die Bibel in der Leseweise der Apostel zu lesen, desto besser gelangen wir von unserem Text zum Evangelium, selbst von Texten, die keine explizite Erfüllung in Jesus finden.

2. Typologie

Typologie ist wie die Verheißung und die Erfüllung, außer dass dabei Ereignisse, Ordnungen oder Personen auf Jesus und das Evangelium hindeuten, anstatt dass es sich um wörtliche Prophetien handelt, die in Jesus erfüllt werden.

Denken wir beispielsweise an den Tempel in Jerusalem. Er spielte eine zentrale Rolle im Alten Testament, als der Ort von Gottes rettender und herrschender Gegenwart unter seinem Volk. Aber schlussendlich weist er auf Jesus hin. Jesus schockierte die Menge, als er im Tempel stand und sagte: „Reißt diesen Tempel ab, und ich werde ihn in drei Tagen wieder aufbauen.“ (Joh 2,19) Sie dachten buchstäblich, er meine das Gebäude, aber „Jesus hatte mit dem Tempel seinen eigenen Körper gemeint. “ (V.21) So wie der Tempel war auch Jesus und ist noch immer die physische Gegenwart Gottes unter seinem Volk, um zu retten und zu regieren. Das ist auch der Grund, warum die Apostel wiederholend die Kirche und die, die in Christus sind, als den Tempel des Geistes identifizieren.

In Anbetracht dessen geschieht Folgendes: Nehmen wir an, dass wir Psalm 122 auslegen, der die Freude auf dem Weg hinauf zu Gottes Tempel in Jerusalem ausdrückt: „Wie sehr habe ich mich gefreut, als andere zu mir sagten: „Lasst uns zum Haus des Herrn pilgern!“ (V.1) Du kannst die Tempel-Typologie benutzen, um Menschen zu helfen – selbst kirchenfernen Menschen – eine größere Freude darin zu sehen, wenn man zum Glauben an Jesus kommt.

Das Neue Testament ist voll von solchen Typologien über Jesus und sein Werk. Die Apostel betrachteten Jesus als den letzten Adam, das wahre Passalamm, den neuen Moses, das endgültige Sühneopfer, den großen Hohepriester, den gesalbten König (Messias) aus Davids Geschlecht, das wahre Israel und vieles mehr. Diese gut bereisten Wege können dich treu von vielen Stellen der Schrift zu Jesus und seinem rettenden Werk bringen. 

3. Motive

Ich benutze das Wort „Motive“, um wiederkehrende Motive oder Bilder in der biblischen Geschichte zu beschreiben, die nicht direkt auf Jesus hinweisen, so wie es die Typologie tut. Und doch sind diese Bilder und Motive sichtbar mit dem Evangelium verbunden und können uns helfen, unseren Text in der fortwährenden biblischen Geschichte einzuordnen.

Ein klassisches biblisches Motiv ist Schöpfung. Die Bibel beginnt mit: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Gott brachte Ordnung in das Chaos, er schuf Adam und Eva in seinem Ebenbild, er gebot ihnen, über die Schöpfung zu herrschen und sie mit ihren Nachkommen zu bevölkern – all das zur Ehre Gottes. Tragischerweise versagten Adam und Eva, ihrer Berufung gerecht zu werden und rebellierten gegen Gott. 

Aber Gott hatte einen Plan, seine Schöpfung zu erlösen. Durch das gesamte Alte Testament sehen wir wiederholte Schöpfungsanfänge; Ereignisse, in denen Gott barmherzig mit seinem Volk neu beginnt, und dieser Neuanfang wird mit Bildern der Schöpfung und entsprechender Sprache beschrieben. Diese Schöpfungsanfänge beinhalten Noah und seine Familie nach der Flut, Israels Auszug aus Ägypten und Einzug in das verheißene Land, Salomons Gründung eines paradiesischen Königreichs und selbst die israelitische Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft. Doch in jedem dieser Fälle ist der Neuanfang gescheitert. Die Menschheit rebellierte. Adam scheiterte immer und immer wieder. Würde eine dieser Kopien Adams es jemals schaffen?

Ja. Der letzte Adam, Jesus Christus, hat den Willen des Vaters vollkommen ausgeführt. Jesu Auferstehung und die Erlösung seines Volkes haben eine wahre neue Schöpfung ausgelöst. Und diese wächst heute stetig weiter. Jesus sandte sein gerettetes Volk aus, um die Welt zu überwältigen und sie mit Söhnen und Töchtern Gottes durch das Evangelium zu füllen. Und eines Tages wird dieses Werk seinen Höhepunkt in einem neuen Himmel und einer neuen Erde erreichen. Diese Welt wird weitaus herrlicher sein als das Original.

Kannst du sehen, dass sich hier ein Rahmen bietet, wenn man fähig ist das Motiv der Schöpfung zu zeichnen, organisch von vielen Texten der Schrift aus zur neuen Schöpfung hin zu gelangen, dem Tod und der Auferstehung von Jesus?

Da sind viele andere thematische Fäden, die sich zusammen in die biblische Handlung einbinden, wie die Bünde, der Auszug, der Tag des Herrn und das Königreich Gottes.

4. Ethisches Lehren

Aber was ist, wenn man versucht, durch die Sprüche oder die Zehn Gebote zu predigen? Was ist, wenn du wirklich so verrückt wärst und versuchst, das Evangelium von 3.Mose zu predigen? Es scheint, als eigneten sich diese Art von Abschnitten besser, um die Gebote und Verbote reifen Christen beizubringen, anstatt ungläubigen Menschen zu zeigen, was Jesus getan hat, sodass sie Christen werden können. 

Wie bereits erwähnt, zeigt Biblische Theologie einen Weg aus dem Gesetz zum Evangelium. Wir können spezifisch moralische Gebote in dem Ablauf biblischer Handlung lesen in der Vorgehensweise der zuletzt genannten drei Wege. Erstens, die biblischen Gesetze und die Ethik führen uns zu Jesus, indem sie unsere Sünde zeigen und die Notwendigkeit eines Retters. Wie bereits gesagt, funktionieren Gottes Gebote wie ein Spiegel, um uns mit unserer moralischen Verdorbenheit zu konfrontieren. Wenn wir Israels Geschichte von dem chronisch moralischen Scheitern lesen, dann sehen wir die Geschichte der Menschheit und unsere eigene. „Denn auch durch das Befolgen von Gesetzesvorschriften steht kein Mensch vor Gott gerecht da. Das Gesetz führt vielmehr dazu, dass man seine Sünde erkennt.“ (Röm. 3,20)

Zweitens, die moralischen Gebote der Bibel führen uns zu Jesus, der sie perfekt eingehalten hat. Er kam nicht, um das Gesetz Gottes zu zerstören, sondern damit es vollständig erfüllt wird. Alle anderen Söhne Gottes (Adam, Israel, Israels Könige) waren vergebens; Jesus allein hat den Vater zufrieden gestellt. Somit offenbaren die ethischen Gebote der Bibel den Charakter von Jesus selbst. 

Drittens, durch das Vertrauen in die Kraft der Auferstehung Jesu und auf seinen Geist, der in uns ist, können wir jetzt Gottes Gesetz halten als gehorsame Söhne und Töchter. Jesus rettete uns von der Kraft der Sünde „auf dass das Recht des Gesetzes erfüllt würde in uns, die nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln.“ (Röm 8,4)

Also stell dir vor, du predigst aus Sprüche 11,17: „Sich selbst tut der Mildtätige wohl, der Unbarmherzige aber tut seinem Fleische weh.“ Wenn man den Umrissen biblischer Theologie folgt, wird man wohl kaum eine 30-minütige Botschaft predigen, wie man freundlicher sein kann. Du möchtest auch zeigen, wie wir daran scheitern, freundlich zu sein und auf verschiedenen Wegen unsere Bosheit zunehmen lassen. Du wirst Menschen auf Jesu Verkörperung von Freundlichkeit aufmerksam machen, vor allem darin, dass er sein Leben für Sünder hin gab. Und schlussendlich wirst du diese Art von Jesu Gnade mit der Gemeinde selbst verbinden, als den Treibstoff unserer eigenen Veränderung durch den Heiligen Geist.

5. Puzzle-Lösung

Wenn wir damit anfangen den Ablauf biblischer Theologie zu spüren, werden wir oft sehen, wie das Evangelium ein alttestamentliches Puzzle löst. Wie würde Gott seine Verheißung an David erfüllen, als bereits das Volk Juda in das Exil ging und kein König in Jerusalem war? Wenn die Opfer im Tempel Sünden wegnehmen würden, warum hat Gott dann Israel gerichtet? Das Alte Testament spricht oft von Gottes Segnungen in der Rechtfertigung und im Gericht der Bösen. Warum sehen wir also das Gegenteil?

Wir könnten hier mehr sagen, aber bis jetzt reicht es zu sagen, dass, wenn du einem biblischen Rätsel begegnest, du überlegen solltest, wie das Evangelium Jesu dieses Mysterium lösen könnte. Wie in einer großartigen Geschichte lässt das Alte Testament Handlungshöhepunkte entstehen, welche von dem Helden, Jesus, gelöst werden.

„Du bist hier“

Wenn wir biblische Theologie benutzen, um diese evangeliumsbewusste Auslegung auszuüben, dann passiert etwas Aufregendes für den Ungläubigen. Sie sind nicht nur konfrontiert mit ihrer Sünde, werden Jesus vorgestellt und zur Buße und zum Glauben Woche für Woche aufgerufen. Sie beginnen auch, sich selbst in dem historischen Ablauf von Gottes Werk einzuordnen. Das Evangelium ist nicht einfach eine Metapher oder eine Idee, die sie frei sind zu benutzen und herauszufinden, ob es „für sie funktioniert“. Eher ist es so, dass die Geschichte Jesu eine historische Kraft ist, welche in der Vergangenheit gegründet ist, in der Gegenwart bestehen bleibt und die gesamte Ewigkeit dominiert. Der Gott, der in der biblischen Welt wirkt, der wirkt auch in unserer Welt. Denn es ist dieselbe Welt, dieselbe Vergangenheit, dieselbe Geschichte.à


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.

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