Gemeinsames Leben

Wann sollte man mit der Seelsorge aufhören?

Von Deepak Reju

Deepak Reju ist Assistenzpastor in der Capitol Hill Baptist Church in Washington, D. C. Er hat einen Doktor in Biblischer Seelsorge vom Southern Baptist Theological Seminary.
Artikel
03.03.2021

Woher weiß man als Pastor oder Seelsorger, wann man mit der Seelsorge aufhören sollte? Während du versuchst darüber zu entscheiden, ob du die seelsorgerliche Begleitung einer Person beenden solltest, ist dir sicherlich bewusst – mit etwas Unbehagen–, dass sich nicht alle Probleme lösen ließen. Die Person muss noch mehr wachsen oder sie hat den Wunsch, dass die Seelsorge weiter fortgesetzt wird. Doch das sind keine ausreichenden Gründe, um die Seelsorge fortzuführen. Wann die seelsorgerliche Begleitung beendet werden sollte, ist immer eine Entscheidung, die viel Weisheit bedarf. Die Entscheidung, den Seelsorgeprozess zum Abschluss zu bringen, ist manchmal sehr klar, doch sehr häufig auch nicht. 

Der beste Weg darüber zu entscheiden, die Seelsorge zu beenden, ist, mit Hilfe von einigen klaren Kriterien darüber nachzudenken. Ziehe zwei positive Hinweise in Betracht und vier weniger Angenehme. 

1. Die Person versteht ihr Problem und ist darauf vorbereitet, es in den Griff zu bekommen.

Der beste Hinweis für das Beenden der Seelsorge ist, wenn eine Person genügend darauf vorbereitet wurde, um mit Glauben auf ihre Schwierigkeiten zu reagieren und ein konstantes, stabiles Verhaltensmuster aufweist. Die Symptome haben nachgelassen: Die Depression ist nicht mehr so schlimm wie sie war; der Ehemann und die Ehefrau haben sich vertragen und haben neues Vertrauen aufgebaut; der junge Mann, der in Pornographie gefangen war, hat eine erhebliche Zeit ohne sexuelle Sünde gelebt. Der Druck des anfänglichen Problems richtet nicht mehr verheerenden Schaden in ihrem Leben an. Plötzlich halten sie es nicht mehr für notwendig, sich mit dir zu treffen. So sehr du sie auch lieb hast, hältst du es auch nicht für länger notwendig, dich mit ihnen zu treffen.

2. Im Verlauf deiner Betreuung der Person zeichnet sich ab, dass die Betreuung durch eine andere Person wirksamer ist.

Wenn du im Kontext der Ortsgemeinde Leute seelsorgerlich begleitest, wirst du andere Paare oder einzelne Personen bitten, mit dir gemeinsam die Person zu begleiten. Häufig sind andere Personen wirksamer als du, wenn es darum geht, Herzensanliegen zu adressieren. Das ist keine Bedrohung für deine Position als Pastor oder Seelsorger, sondern vielmehr ein Zeichen von einer gut funktionierenden Gemeinde. Es sollte dich begeistern, dass andere eine Fähigkeit zeigen oder eine Einsicht haben, die du nicht gehabt hast. Wenn du das wahrnimmst, dann ist es das Beste, die Person der Fürsorge eines anderen anzuvertrauen. Traurigerweise endet nicht jede Seelsorge mit einem positiven Abschluss. Manchmal machen andere Gründe einen Wechsel zu einem anderen Seelsorger oder einer anderen Art der Fürsorge notwendig. 

3. Es scheint sich nichts zu verändern.

Du hast für eine Weile versucht zu helfen, doch es scheint zu nichts zu führen. Sie haben – so erscheint es zumindest – versucht, Dinge zu verändern, doch dasselbe Problem, das sie anfangs hatten, plagt sie immer noch. Vielleicht hat es sich sogar noch verschlimmert. Das mag an mangelnder Einsicht oder fehlender Kompetenz deinerseits liegen oder an ihrem harten Herzen, ihrer Ignoranz oder anderen Faktoren ihrerseits. Meistens ist es ein bisschen von beidem. Doch entscheidend ist, dass nichts einen Unterschied zu machen scheint. Das ist ein guter Zeitpunkt, um zu überlegen, die Person zu jemand anderem zu schicken. 

4. Die Person ist nicht daran interessiert, an ihrem Problem zu arbeiten.

Du wirst Seelsorgetreffen erleben, in denen Personen die Zeit ausnutzen werden, um zu meckern, zu lästern und um sich zu beschweren. Doch wenn es zur harten Arbeit kommt, die Schrift aufzuschlagen, um über die Herzensmotive nachzudenken, Sünde zu konfrontieren oder ihren eigenen Ängsten ins Auge zu sehen, wollen sie es einfach nicht tun. Diese Leute erwarten von dir in den Sitzungen, das schwere Heben zu übernehmen. Doch wir dienen unseren Leuten nicht, indem wir ihnen das Gefühl geben, bereits „etwas zu tun“, um das Problem zu lösen nur dadurch, dass sie zum Seelsorgetreffen kommen, während sie sich tatsächlich weigern „etwas zu tun“. Lass die Leute sich selbst nicht vormachen, sie unternähmen etwas, während sie eigentlich nichts tun. Wenn sie ihre Hausaufgaben nicht machen und nicht daran interessiert sind, die Fragen zu beantworten, die du an sie richtest, muss die Seelsorge um ihretwillen beendet werden. 

5. Die Person vertraut dir nicht.

Es wird auch Situationen geben, in denen deine Fehler schmerzhaft offensichtlich sind. Vielleicht hast du versagt, indem du über etwas gedankenlos gesprochen hast oder indem du auf sie in reiner Frustration geantwortet hast. Du hast Termine vergessen oder sie nicht in deinen Terminkalender – ohne gute Begründung – unterbringen können. Zwei Wahrheiten solltest du über dich selbst wissen: Du bist ein Sünder und du bist menschlich. Fakt ist, dass sie ihr Vertrauen zu dir verloren haben – egal, ob es deine Schuld war oder ihre unrealistischen Erwartungen. Es spielt keine Rolle, die Leute werden deiner Leitung nicht mehr folgen, wenn sie dir nicht mehr vertrauen und es wird Zeit, die seelsorgerliche Begleitung zu beenden. Wenn sie nicht bereit sind, irgendjemand aus der Gemeinde zu vertrauen, mag die Zeit für sie gekommen sein, über einen Gemeindewechsel nachzudenken. 

6. Die Person braucht mehr Hilfe als du leisten kannst. 

Ihre Probleme sind so intensiv, dass sie mehr Zeit oder Expertise brauchen als du bieten kannst. Du hättest gerne mehr Zeit für sie, doch deinen anderen Aufgaben nachzukommen, wäre dann unmöglich, schließlich bräuchten sie mehr als nur ein einstündiges Gespräch jede Woche. Zum Beispiel kann Drogensucht so sehr außer Kontrolle geraten, dass die Person tägliches Eingreifen von jemand anderem braucht. Du würdest gerne mehr über die Konturen eines bestimmten Problems wissen, doch dir fehlt die erforderliche Einsicht, die Fähigkeit oder die Zeit, um die Komplexität zu verstehen. Nun, denk dran, dass die Schwelle dessen, was du bewältigen kannst, höher liegen mag, als du realisierst. Doch wir wollen auch anerkennen, dass bestimmte Schwierigkeiten geistlich so komplex oder physiologisch so tiefsitzend sind, dass du jemanden mit mehr Kompetenz heranziehen solltest. Das Ziel ist nicht, sie einfach loszuwerden; vielmehr geht es darum, ihnen die Hilfe zu geben, die sie brauchen.

Du musst dich nicht als Versager fühlen, wenn du sie zu jemand anderem in der Gemeinde schickst (einem anderen Pastor oder einen anderen reifen Christen) oder jemandem außerhalb der Gemeinde (einem Seelsorger oder Arzt in der Umgebung). Manchmal ist die beste Art und Weise für sie zu sorgen, die Arbeit nicht selbst fortzusetzen, sondern ihnen den Weg in die richtige Richtung zu weisen – zu jemandem, der ihnen die angemessene Zeit und Aufmerksamkeit schenken kann, die notwendig ist.

Wenn irgendwelche dieser Indikatoren auf deine Situation zutreffen, ist wahrscheinlich der Zeitpunkt gekommen, die seelsorgerliche Begleitung in einem letzten Treffen zu beenden. Einige Leute werden mehr als glücklich darüber sein, dass die Seelsorge vorüber ist. Andere werden ziemlich beunruhigt sein. Für Letztere ist ein letztes Treffen das Schlimmste. Sie wollen, dass die seelsorgerliche Begleitung viel länger als notwendig fortgesetzt wird. Vielleicht werden sie sogar mit dir darüber diskutieren wollen, dass sie noch mehr Hilfe brauchen. Wenn du in deiner Weisheit (und nicht in deiner Ungeduld) entschieden hast, die Seelsorge zu einem Abschluss zu bringen, sei gnädig und halte diesen Kurs. Lass nicht die Schwierigkeiten und Belastungen von übermäßig bedürftigen Leuten das Tempo deiner Seelsorge bestimmen. Höre demütig auf ihre Sorgen; bete darüber; und entscheide dann, was das Beste ist.


Der Artikel ist ein bearbeiteter Auszug aus dem Buch von Jeremy Pierre und Deepak Reju The Pastor and Counseling: The Basics of Shepherding Members in Need (Crossway, 2014). Der Artikel erschien zuerst bei 9Marks. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.

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