Gemeinsames Leben

Kritik geben und annehmen: Einander durch Worte schärfen

Von Garrett Kell

Garrett Kell ist leitender Pastor der Del Ray Baptist Church in Alexandria, Virginia.Der Artikel erschien zuerst bei 9Marks. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.
Artikel
03.03.2021

„Eisen wird durch Eisen geschärft, und ein Mann schärft das Angesicht seines Nächsten.“ Sprüche 27,17

Kritik ist etwas, wovor die meisten von uns weglaufen. Wir wollen schwierige Gespräche vermeiden, in denen unser Handeln, unsere Motive oder unser Dienst unter das Mikroskop einer anderen Person kommen. Zugleich mögen viele von uns auch nicht Kritik weitergeben, da wir nicht als richtend erscheinen oder riskieren wollen, die Gefühle von jemandem zu verletzen. 

Auch wenn es sich merkwürdig anhört, will ich zeigen, dass biblische Kritik zu geben und anzunehmen ein notwendiges Element in gesunden Beziehungen und in einer gesunden Gemeinde ist. Wenn wir Menschen helfen wollen, im Glauben zu wachsen, aber keine biblische Kritik geben können, werden wir ihnen nicht wirklich helfen können. Gott gebraucht sein Volk, um einander die Wahrheit in Liebe zu sagen und das beinhaltet auch kritische Wahrheiten. Wenn man dieses Element weglässt, ist man wie ein Hirte ohne Stab. 

Was ist biblische Kritik? 

Das Wort „Kritik“ taucht nicht so häufig in unseren deutschen Bibeln auf, doch das Konzept schon. Begriffe wie ermahnen, zurechtweisen, korrigieren, warnen und anweisen meinen dasselbe. 

Das ist mein Versuch einer Definition von biblischer Kritik: eine korrigierende Beurteilung einer anderen Person und ihres Dienstes für den Herrn mit der Absicht, ihr zu helfen, sodass die Person in Treue gegenüber Gott wachsen kann. In diesem Artikel konzentriere ich mich darauf, wie wir im Kontext von christlichen Beziehungen biblische Kritik geben und annehmen. Das kann zwischen Ehemann und Ehefrau sein, Freunden, Gemeindemitgliedern oder Gemeindemitarbeitern. Ich will auch betonen, dass wir über biblische Kritik sprechen. Das ist wichtig zu sagen, denn nicht alle Kritik ist biblisch. Manche Kritik ist satanisch. 

Einige Leute geben Kritik geleitet von ihrem sündigen Fleische (1Kor 3,3), der geistliche Weisheit fehlt (Jak 3,14-16) und nichts anderes erzielt als andere zu verletzen (Gal 5,15). Oft zielt diese unbiblische Kritik darauf ab, andere zu zerstören und sich selbst zu erhöhen, indem man „geistlich“ erscheint (Lk 18,11-14; Spr 30,32). Diesen Angriffen fehlt jegliche konstruktive Gnade und hinterlässt Leute verletzt anstatt ihnen geholfen zu haben.

Damit wir vermeiden diese Art von Kritik zu geben, will ich einige Hinweise geben, wie wir biblische Kritik geben und annehmen sollten.

Wie man biblische Kritik gibt: 

1. Das Ziel ist Wachstum.

Das Hauptziel in christlichen Beziehungen sollte sein, einander zu helfen in Christus zu wachsen (Eph 4,14-15). Das bedeutet, dass Kritik darauf abzielen muss, einander aufzubauen und nicht zu zerstören (2Kor 13,10). Wenn man also spricht, sollte man betend überlegen, wie die Worte konstruktive Gnade geben können, die dem anderen helfen wird, in Christus zu reifen (Eph 4,29). Zeige ihnen wie deine Korrektur, wenn sie angewandt wird, ihnen hilft, die Herrlichkeit Gottes besser zu reflektieren (Mt 5,16). 

2. Kritisiere demütig.

Stolz freut sich daran, andere zu kritisieren. Also, wenn du gerne Kritik austeilst, kann das ein Zeichen davon sein, dass Stolz dein Herz bestimmt. Der beste Weg, um in Demut zu wachsen ist, Gott dafür zu danken, wie er dich gnädigerweise korrigiert hat. Führe dir vor Augen, wie gut die Evangeliumsbotschaft für dich ist und lass dich neu davon bewegen, wie gnädig Gott zu dir war (Eph 2,1-5). Das wird dir helfen, den Balken zuerst aus deinem Auge zu ziehen, bevor du jemandem hilfst, den Splitter aus seinem Augen zu entfernen (Mt 7,1-5). 

3. Gib mit der Kritik auch Ermutigung.

Kritik sollte so gut wie immer mit einer guten Prise von Ermutigung serviert werden. Das ist kein psychologischer Trick, um zu vermeiden, Gefühle zu verletzen; sondern es ist ein Weg, um zu bestätigen, dass Gott in der Person wirkt, trotz ihres Bedarfs zu wachsen.

Wenn zum Beispiel meine Mitarbeiter mir Rückmeldung zu meinem Leitungsstil und meinen Predigten geben, ist es wichtig, dass sie mir helfen zu sehen, was ich verändern muss und was ich beibehalten sollte. Die kritischen Gespräche werden umso hilfreicher, wenn man neben den Verbesserungsvorschlägen auch auf Zeichen der Gnade hinweist. 

4. Sei rücksichtsvoll.

Überlege dir gut, was du sagen solltest, bevor du es sagst (Spr 29,20). Das wird dir helfen, alle kleinkarierte Kritik auszusieben und zum Kern zu kommen von dem, was wirklich gesagt werden muss. Frage dich selbst betend: „Was ist der Hauptpunkt, der angesprochen werden muss? Was hoffe ich, dass die Person nach dem Gespräch behält? Was muss wirklich gesagt werden und was kann übersehen werden?“ Diese Vorarbeit wird dir selbst und auch der Person helfen, die du konfrontierst. 

5. Sei klar. 

Wenn du Kritik übst, sei so klar wie möglich. Betrifft die Kritik Sünde oder die Persönlichkeit? Ist es eine große Sache oder könnte es zu einer großen Sache werden? Eine Art und Weise um mehr Klarheit zu schaffen ist es, klare Beispiele zu nennen.

Zum Beispiel sage nicht einfach: „Du bist rücksichtslos“. Du kannst versuchen, es folgendermaßen anzusprechen: „Ich weiß, dass du gute Ideen hast, aber ich habe bemerkt, wie du andere unterbrichst, wenn sie reden. Ich weiß nicht, ob du es selber bemerkt hast, doch es vermittelt Leuten den Eindruck, dass du nicht hören möchtest, was sie zu sagen haben.“ Wenn du in deiner Kritik klar bist, wird es helfen, zum eigentlichen Kern der Sache zu kommen. 

6. Sei behutsam.

Wickel deine korrigierenden Worte in Güte ein. Liebe versucht, Wahrheit auf eine Weise zu vermitteln, die einfach geschluckt werden kann. Es ist ein Zeichen von geistlicher Reife, Menschen behutsam zu helfen, geistlich zu wachsen (Gal 6,1). Güte sollte nicht als Schwäche angesehen werden, sondern vielmehr als eine Herzenshaltung, die Gott gebrauchen kann, um andere zur Umkehr zu führen (2Tim 2,24-26). Ein Weg, wie wir in Güte wachsen können, ist, darüber nachzudenken, wie du es gerne hättest, dass andere dir mit Kritik begegnen (Mt 7,12). Wie kannst du ihnen Ehre erweisen und zugleich helfen zu wachsen (Röm 12,10)? Wenn du darüber nachdenkst, wie sie deine Worte hören werden, kannst du deine Worte in Güte wählen.

7. Sei geduldig. 

„Die Liebe ist geduldig“ (1Kor 13,4). Denke daran, dass einige Verhaltensmuster oder Sünden Zeit brauchen zur Korrektur, vor allem wenn sie tief im Herzen verankert sind. Sieh auf die Beziehung mit einer Langzeitperspektive und bitte Gott darum, nicht zu vergessen, wie geduldig er mit dir gewesen ist (2Mo 34,6). Das wird dich demütig vor Gott halten und dir helfen, geduldig mit denen zu sein, die du korrigieren musst.   

8. Sei betend. 

Ruth Graham sagte einmal über ihren Ehemann: „Meine Aufgabe ist, Billy zu lieben und Gottes Aufgabe, ihn zu verändern.“ In diesem Satz steckt viel Weisheit. Auch wenn wir Wahrheit zu einem Herzen sprechen können, kann allein Gott den Samen wachsen lassen (1Kor 3,6). Das bedeutet, wenn wir nicht für Menschen beten, sollten wir ganz sicher nicht versuchen, sie zu verändern. Gott allein kann eine Person verändern, also bete für die andere Person.  

Wie man biblische Kritik annimmt:

1. Sei hungrig nach Wachstum.

Wünschst du dir, im Glauben zu wachsen? Sehnst du dich danach, immer mehr wie Jesus zu werden? Wenn ja, musst du alles tun, was du kannst, um den Stolz zu töten, der versucht das Image zu wahren. Wenn andere uns kritisieren, ist unsere natürliche Reaktion, uns selbst zu verteidigen und die Kritik mit Ausreden abzuwehren.

Brüder und Schwestern, töte den Götzen des guten Images. In Sprüche 12,1 steht: „Wer Erziehung liebt, liebt Erkenntnis, wer Zurechtweisung hasst, ist dumm.“ Der Grund, warum diejenigen, die Zurechtweisung hassen, dumm sind, ist, weil es nichts Besseres gibt, als zur Ehre Gottes korrigiert zu werden. Flehe also Gott an, dass du in Heiligkeit wachsen kannst und du dich von ihm immer mehr gebrauchen lässt. Bitte ihn dir zu helfen, dich nicht davor zu fürchten, gestärkt zu werden dadurch, dass du gedemütigt wirst mit Hilfe derer, die in dein Leben sprechen.  

2. Erwarte, dass du Korrektur brauchst.

Sprüche 12,15 erinnert uns, dass „der Weg des Narren in seinen eigenen Augen recht erscheint, der Weise aber hört auf Rat.“ Erwartest du, dass du Menschen in deinem Leben brauchst, die dich kritisieren und korrigieren? Erwartest du, dass andere Dinge an dir sehen, für die du blind bist? Es ist unklug anzunehmen, dass dir selbst an den besten Tagen nicht durch kritische Einsicht von anderen geholfen wird. 

3. Sei nicht schnell verletzt.

Spurgeon hat einmal den weisen Ratschlag gegeben: „Wenn jemand schlecht über dich denkt, sei nicht böse auf ihn, denn du bist noch schlechter als er es von dir denkt.“ Der Stolz in unseren Herzen wird oft dann entfacht, wenn jemand korrigierende Worte an uns richtet. Bitte Gott dir zu helfen, daran zu denken, dass egal was jemand dir sagt, es weniger scharf ist als was Gott dir im Evangelium gesagt hat. 

4. Stelle klärende Fragen. 

Wenn jemand dich kritisiert, danke der Person dafür, dir im Wachstum zu helfen und stelle danach weiterführende Fragen. Frage nach Beispielen, um es besser zu verstehen. Frage nach Vorschlägen, wie du dich verbessern könntest. Dadurch wird die Kritik zu einem Gespräch, was immer der beste Rahmen für Wachstum ist. 

5. Erwarte, dass es zumindest zum Teil wahr ist, was die andere Person sagt. 

Menschen sind nicht unfehlbar, sodass es Zeiten gibt, in denen die kritischen Worte ohne Grundlage und völlig unberechtigt sind. Deine erste Reaktion sollte nicht sein direkt zurückzuschießen, sondern zu sehen, ob irgendetwas von der Kritik doch zutrifft. Nur selten lässt sich kein kleines Goldstückchen in einem noch so großen Haufen voller Müll finden. 

6. Halte die Gemeinde im Blick. 

Wenn du von anderen korrigiert wirst, bist du nicht der einzige, der davon profitiert. Du bist Teil des Leibes Christi, dein Wachstum ist ein Segen für alle anderen (1Kor 12). Ich könnte wahrscheinlich zehn bis 15 Korrekturen aufzählen, die ich über die Jahre hören durfte, die entscheidend die Richtung meines Lebens und meines Dienstes verändert haben. 

Eine, an die ich mich am häufigsten erinnere, kam während meines ersten Jahres im Predigtdienst, als ein Freund mich darauf hinwies, dass ich ständig über das Kreuz predige, aber die Auferstehung nicht erwähne. Er ermutigte mich, Jesus in meinen Predigten aus dem Grab zu lassen. Ich bin so dankbar für diese Kritik und ich bin so vielen anderen dankbar, die mich genug geliebt haben, um mir ihre biblische Kritik zu sagen. 

7. Tue es zur Ehre Gottes.

Im ersten Korintherbrief 10,31 heißt es: „Ob ihr nun esst oder trinkt oder sonst etwas tut, tut alles zur Ehre Gottes!“Das bedeutet unser Ziel im Geben, Annehmen und Anwenden von Kritik muss immer sein, dass Gott in unseren Leben und im Leben von anderen sichtbar wird. Wenn Gottes Ehre unser größtes Ziel ist, wird es unsere Herzen bewahren in unangenehmen und schwierigen Gesprächen. 

Wie man eine Kultur der gegenseitigen Schärfung schaffen kann

Was wir nicht tun wollen ist, eine Kultur der Kritik zu schaffen, in der wir ständig nach Fehlern bei anderen suchen. Stattdessen wollen wir beobachten, wie in der Gemeinde die Liebe und Fürsorge füreinander vertieft wird; dass Menschen bereit sind, tiefe, schmerzhafte, hilfreiche und charakterformende Gespräche zu führen, die Gott viel Ehre bringen. 

1. Predige das Evangelium.

Je regelmäßiger wir das Evangelium selber predigen und auf uns und andere anwenden, desto mehr werden wir ausgerüstet, gnädige Kritik zu geben und anzunehmen. 

2. Lebe es vor.

Pastors und geistlich reife Personen sollten den Personen um sie herum als Beispiel dienen (1Kor 11,1). Wie kannst du dich selbst für Kritik öffnen um ein gutes Beispiel für deine Herde zu sein? Wie bietest du biblische Kritik an und begrüßt sie als Teil deiner Date Abende, Familientreffen, Mitarbeitertreffen oder Jüngerschaftsbeziehungen?  

3. Begrüße sie.

Mache das Geben und Annehmen von biblischer Kritik zu einem Teil deiner Jüngerschaftsbeziehungen. Das bedeutet nicht, dass wir ständig einander kritisieren sollten, aber es bedeutet, dass wir einander erlauben, frei zu uns zu sprechen. Oft sage ich Menschen: „Ich erlaube dir zu jeder Zeit, mich auf etwas in meinem Leben aufmerksam zu machen, von dem du denkst, dass ich es hören sollte.“ Ich sage das nicht jedem, aber die Leute, die ich in der Jüngerschaft begleite, wissen, dass sie absolute Freiheit haben, jegliche Fragen zu stellen. Das hat sich als wunderbar fruchtbare und befreiende Angewohnheit erwiesen. 

4. Organisiere es.

Finde Wege, damit das Geben und Annehmen von Rückmeldung ein ganz normaler Teil deines Lebens wird. Während unserer Date-Abende fragen meine Frau und ich manchmal folgende Fragen: „Gibt es etwas, was ich aufhören sollte zu tun? Gibt es etwas, womit ich anfangen sollte?  Gibt es etwas, womit ich auf jeden Fall weitermachen sollte?” In der gleichen Weise beinhalten unsere Mitarbeitertreffen Gebet, Planen und Kritik unseres Gottesdienstes vom letzten Sonntag. Diese Zeit der Rückmeldung über meine Predigten hat sich als von unschätzbarem Wert für mein Wachstum als Diener des Wortes Gottes erwiesen. 

5. Bewahre dich selbst vor Kritiksucht. 

Wenn du Teil einer Gemeinde bist, in der biblische Kritik weitergegeben und angenommen wird, wirst du manchmal einen kritischen Geist entwickeln. Jedes Lied, jedes Gebet, jede Predigt und jedes Gespräch werden intensiv gemustert. Wir müssen unsere Herzen bewahren vor dieser sündigen Angewohnheit. Es ist nicht biblisch, immer kritisch zu sein, doch es ist biblisch, Personen durch Kritik zu helfen. Diesen Unterschied zu verstehen ist wichtig für das Leben jeder Person. 

6. Fördere zugleich eine Kultur der Ermutigung.

Eine Kultur der Ermutigung ist der Schlüssel zu einer gesunden Kultur der Kritik. Ich bin mir nicht sicher, was ein gesundes Maß ist, doch ich hoffe, dass meine Frau, Kinder, Freunde, Dienstpartner fünf bis zehnmal mehr Ermutigung von mir hören als Kritik. Wenn Ermutigung bewusst, anhaltend und ehrlich geschieht, wird die Kritik zum Poliertuch für unsere Herzen. Wenn nicht, wird sie ganz schnell zum Flammenwerfer. 

7. Bete darüber. 

Bete, dass Gott eine Kultur in deiner Gemeinde schafft, in der jeder jedem helfen will zu wachsen. Bete, dass er dir und anderen die Weisheit gibt, einander in der Gottesfurcht anzuspornen (Hebr 10,24-25). Bete, dass er eine Demut in deiner Gemeinde schenkt, die sich daran erfreut, gemäß der Wahrheit Gottes korrigiert zu werden (Apg 17,11). Mehr als alles andere bete, dass die Gemeinde zu einem Körper erbaut wird, dadurch dass die Wahrheit in Liebe gesprochen wird zur Ehre Jesu (Eph 4,15).


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.

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