Predigen & Theologie

Handbuch für Pastoren

Von Phil Newton

Phil Newton ist Hauptpastor der South Woods Baptist Church in Memphis, Tennessee (USA).
Artikel
01.05.2022

5 Gründe, durch 1. Timotheus zu predigen

Das leere Studierzimmer meiner ersten Pastorenstelle wurde zur Metapher für mein spärliches Verständnis des pastoralen Dienstes. Kein Brief des früheren Pastors lag in einer Schublade, um mich über die Besonderheiten der Gemeinde zu unterrichten. Es gab auch keine Gebrauchsanweisung, die sich mit Fragen der Gemeindestruktur, Lehrkontroversen, Gemeindekonflikten oder persönlichem Wachstum befasst hätte. Ich hatte ein wenig Erfahrung und ein paar Jahre im Seminar hinter mir. Und plötzlich stand ich vor der Aufgabe, diese kleine Herde zu hüten − allein.

Das dachte ich zumindest.

Vor einigen Jahrhunderten schrieb tatsächlich ein älterer Mann einen Brief an einen jüngeren Mann, der die herausfordernde Aufgabe hatte, die von dem älteren Mann gegründete Gemeinde zu leiten. Dieser Brief heißt 1. Timotheus. Er kann zwar nicht als „Das vollständige Handbuch für Pastoren“ bezeichnet werden, kommt dem aber − zusammen mit den anderen Pastoralbriefen − am nächsten. Paulus zog es vor, Timotheus und die Gemeinde in Ephesus von Angesicht zu Angesicht zu unterweisen, aber für den Fall einer Verzögerung „schreibe ich dir in der Hoffnung, recht bald zu dir zu kommen, damit du aber, falls sich mein Kommen verzögern sollte, weißt, wie man wandeln soll im Haus Gottes, welches die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ (1Tim 3,14−15). Mit dem Evangelium als Grundlage zeigt uns 1. Timotheus, wie das gemeinsame Leben in der Gemeinde auszusehen hat.

Der Begründung des Briefes folgt ein theologisch und missiologisch durchtränktes Bekenntnis (3,16). William Mounce erklärt deshalb: „Dieser Abschnitt [1Tim 3,14−16] ist das Herzstück des Pastoralkorpus’, […] welches die Anweisungen des Korpus’ in die richtige Perspektive rückt“. E.F. Scott geht noch weiter: „In diesen Versen haben wir also den Schlüssel zur inneren Bedeutung der Pastoralbriefe. Der Autor ist kein bloßer Theoretiker, der sich mehr mit dem Mechanismus der Gemeinde als mit ihrem geistlichen Leben beschäftigt. Er besteht auf einer richtigen Ordnung, weil er sie als notwendig für den wahren Glauben empfindet“. Ordnung im Gemeindeleben und die Gesundheit der Gemeinde scheinen in Paulus’ Gemeindepraxis Hand in Hand zu gehen.

Drei Jahre in Ephesus bedeuteten, dass Paulus diese Gemeinschaft und Gemeinde kannte. Er verstand ihre Neigungen und Fehler. In mancher Hinsicht ähnelt sein Brief an Timotheus einem angesehenen ehemaligen Pastor, der dem neuen Pastor Ratschläge gibt, damit dieser nicht in Fallen tappt, sondern die Gemeinde zur Gesundheit führt.

In den Jahrzehnten meines pastoralen Dienstes bin ich oft auf 1. Timotheus zurückgekommen, um über diesem Brief zu meditieren und Orientierung zu erhalten. Aber 1. Timotheus ist nicht nur ein Brief für Pastoren. Für die Gemeinde ist er ebenso wertvoll. Im Jahr 2011 habe ich 22 Predigten über diesen Brief gehalten. Durch 1. Timotheus zu predigen, hat entsprechende Anwendungen für unser Gemeindeleben mit sich gebracht.

Bei der Reflexion dieser Predigtreihe kommen mir fünf Gründe in den Sinn, warum man durch 1. Timotheus predigen sollte.

1. Der Brief fordert Pastoren dazu auf, bescheiden und dennoch mutig zu sein.

Paulus’ Demut gibt den Ton für die pastorale Wärme im Brief an (1,12-17). Er weist darauf hin, die Dinge im rechten Licht zu sehen. Imitiere seine Demut. Erinnere dich an die Barmherzigkeit, die Christus dir erwiesen hat. Du bist nicht würdig, diese Gemeinde zu leiten, aber Christus hat Gefallen daran gefunden, dir diese Herde anzuvertrauen (1,18-19a). Sei dir also der falschen Lehre (1,3-4) und der falschen Lehrer (1,6-718-20) bewusst, die die Gemeinde bedrängen. Sei geduldig und weise im Umgang mit Konflikten (4,6.125,1-2.19-22). Bleibe in deinen Mühen fokussiert und halte das Evangelium in allem, was du tust, im Vordergrund (1,52,3-73,164,15-166,12-166,20-21).

2. Der Brief behandelt die wesentlichen Details des Gemeindelebens und der Gemeindeordnung.

Der Zustand des Gottesdienstes, der Gemeindestruktur und der Gemeindeleitung können einen Pastor zum Aufgeben verleiten. Timotheus fühlte wahrscheinlich auch so. Aber Paulus lenkte solche zweifelnden Gedanken weise um. Er legte Prioritäten für das Gebet (2,1-4.8), den öffentlichen Gottesdienst (4,13-16), das Predigen (1,3-44,6-12.15-165,17-186,17-19), die Fürsorge für die Mitglieder (5,1-16), die Rolle von Männern und Frauen (2,8-15) und die Zurechtweisung irrender Mitglieder (6,3-10) fest. Er legte Wert auf die Pluralität von Ältesten und Diakonen, wobei die Ältesten für das Vorstehen, Predigen und Lehren verantwortlich sind (3,1-135,17-22). Thematisierst du irgendeinen dieser Bereiche einmal in einer Predigt, kann das hilfreich sein. Wenn du aber die Zentralität eines jeden Bereichs durch eine Auslegungsreihe durch 1. Timotheus aufzeigst, ermöglichst du der Gemeinde, die biblischen Prioritäten für die Gesundheit der Gemeinde zu erkennen. Das ist das Modell von Paulus: „Wie man sich im Haushalt Gottes verhalten sollte“, weist auf „eine vorgeschriebene Lebensweise [hin], in der“ das gemeinschaftliche Verhalten „aufgrund theologischer Wirklichkeiten eine bestimmte Form annehmen soll“ (Philip Towner). Unsere Auslegungsreihe durch den Brief wird die Art und Weise prägen, wie die Gemeinde über diese wesentlichen Elemente des Gemeindelebens und der Gemeindeordnung denkt und sie in die Praxis umsetzt.

3. Der Brief zeigt, welchen Wert die frühe Kirche auf gute Theologie legte.

Wer meint, es mangele 1. Timotheus an theologischer Verankerung, au contraire mon frère! Paulus‘ Grußwort enthält theologische Reichtümer (1,1-2). Er legt den rechten Gebrauch des Gesetzes dar, ein immerwährendes theologisches Thema (1,8-11). Seine Doxologien in 1,17 und 6,14-16 spornen zu robustem Lobpreis an. Seine Ausführungen zum Gebet sind im Mittlerwerk des menschgewordenen Christus verankert (2,1-6). Seine Beschreibung der Gemeinde erweitert unser Verständnis von gesunder Ekklesiologie (3,15). Sein Bekenntnis motiviert die Gemeinde zur Mission (3,16). Seine Theologie des göttlichen Gerichts bringt Vorsicht in den Prozess der Einsetzung von Ältesten (5,19-25). Seine Aufforderung, „den guten Kampf des Glaubens“ zu kämpfen, ist in christologischem Denken begründet (6,11-16). Theologie? Paulus webt sie in den ganzen Brief ein, wie auch wir es tun sollten.

4. Der Brief bietet weise Ratschläge für das geistliche Leben und den Dienst von Pastoren.

Okay, sollten wir in der gemeinsamen Versammlung zu uns selbst predigen? Ja, unbedingt! Unsere Gemeinden müssen die Intensität spüren, die wir im pastoralen Dienst empfinden, besonders wenn wir auf der Kanzel unser Herz offenlegen. In einem Brief, der öffentlich verlesen würde, ist die erste persönliche Aufforderung an Timotheus Paulus’ Ermahnung: „[D]amit du […] den guten Kampf kämpfst, indem du den Glauben und ein gutes Gewissen bewahrst“ (1,18-19). Er machte weiter, indem er ihn dazu aufrief, sich in der Gottesfurcht zu üben (4,6-8), seine geistliche Gnadengabe nicht zu vernachlässigen (4,14), sich in den treuen Dienst zu vertiefen (4,15) und auf sich selbst und die Lehre achtzuhaben (4,16). Die Leidenschaft seiner abschließenden Ermahnung „O Timotheus, bewahre das dir anvertraute Gut“, vermittelt etwas von dieser Intensität und Achtsamkeit (6,20). Während du dir selbst und deinen Mitältesten in der öffentlichen Versammlung predigst, ermahnst du deine Gemeinde, für dich und deine Mitältesten zu beten, sie zu ermutigen und sie an den Standard zu halten, den Paulus Timotheus gab. In einer Zeit, in der zu viele Amtsträger auf der Strecke bleiben, brauchen wir diese Art der öffentlichen Rechenschaftspflicht.

5. Der Brief zeigt die Zentralität des Evangeliums für unsere Existenz und unser Ziel als Gemeinde auf.

Mounce weist darauf hin, dass in diesem Brief die Gesundheit des Evangeliums auf dem Spiel zu stehen schien. Paulus’ Anweisungen waren also nicht nur praktische Ratschläge eines erfahrenen Dieners, sondern sie sollten Timotheus dabei helfen, mit dieser Gemeinde auf der Grundlage des Evangeliums zu stehen. Das Vertrauen auf Jesus Christus als unsere Hoffnung (1,1), die Warnungen davor, das Evangelium durch etwas anderes zu ersetzen oder zu verfälschen (1,3-74,1-55,3-5) und die besonders detaillierten Evangeliumspassagen (1,152,3-63,164,106,13-16) bekräftigen, dass sich in unseren Gemeinden alles um das Evangelium drehen sollte − sowohl in der Verkündigung als auch in der Praxis.

Also, Brüder, predigt 1. Timotheus. Und wartet nicht zu lange. Ihr und eure Versammlung braucht den christuszentrierten Fokus des Briefes für die Gemeinde.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.

weitere verlinkt als articles