Evangelisation & Evangelium

Gemeindegründung mit Titus

Von Nate Pickowicz

Nate Pickowicz ist Pastor der Harvest Bible Church in Gilmanton Iron Works, New Hampshire (USA). Er ist außerdem Redakteur für die American Puritans Series.
Artikel
01.05.2022

Heutzutage gibt es unfassbar viele Informationen zum Thema „Gemeindegründung“. Von Artikeln und Büchern über Konferenzen und Fortbildungen bis hin zu ganzen Organisationen, die sich nur mit diesem Thema beschäftigen. Sie alle wollen dazu beitragen, dass weltweit mehr Gemeinden gegründet werden. Als ich mich auf unsere Gemeindegründung vorbereitete, hatte ich alles aufgesaugt, was ich nur finden konnte – nur um nach kurzer Zeit völlig überfordert zu sein. Kein Buch glich in seiner Methode dem anderen, und jeder Gemeindegründungsexperte hatte seine eigene bewährte Herangehensweise entwickelt. Noch bevor wir unseren ersten richtigen Gottesdienst hatten, war mein Kopf so voller Strategien, Zahlen, Prozesse und Richtlinien, alle verpackt in verwirrendem Gemeindegründungs-Jargon, dass ich kaum klar denken konnte.

Mir war bewusst, dass es schwer werden würde, eine Gemeinde zu gründen – doch musste es wirklich so kompliziert sein?

In Gottes Vorsehung hatte ich einige Zeit mit dem Studium des Buches Titus verbracht, wobei es mir persönlich sehr ans Herz gewachsen war. Immer dann, wenn ich erschöpft ein Buch über Gemeindegründung zur Seite legte, nahm ich Titus zur Hand und suchte nach Erfrischung. Daniel Akin nennt Titus „ein apostolisches Handbuch für Gemeindegründungen“. Weiter sagt er, es sei „ein genauer Plan für die Gründung und den Aufbau von Gemeinden, die zur Ehre Gottes Bestand haben und gedeihen werden“1. Titus hat sich in der Planung unserer Gemeindegründung tatsächlich als hilfreicher herausgestellt als jede andere Quelle.

Nachfolgend habe ich einige Schwerpunkte aufgeführt, die uns bei unserer Gemeindegründung geholfen haben. Jeder dieser Schwerpunkte kann mit Details und Anmerkungen endlos erweitert werden. Hier ist ein grundsätzlicher Querschnitt unseres Ansatzes bei der Gründung unserer Gemeinde.

Kennt den Auftrag (vgl. Tit 1,12)

Zu den ersten Dingen, die im Prozess der Gemeindegründung empfohlen werden, gehört das Formulieren eines Leitbilds. Das hilft euch dabei, eure Kraft zu fokussieren und legt die Prinzipien fest, an denen ihr euch in Zukunft orientieren wollt. Der eigentliche Zweck eines Leitbilds ist allerdings, eine Antwort auf folgende Frage zu formulieren: Wozu wurden wir berufen?

In Paulus’ Grußwort macht er die Absicht seines Briefes gleich deutlich, indem er von seinem eigenen apostolischen Dienst spricht. Von all den Dingen, mit denen sich ein Apostel des ersten Jahrhunderts beschäftigen musste, waren Paulus einige Punkte besonders wichtig. Er schreibt, dass er seinen Dienst tut „aufgrund der Hoffnung des ewigen Lebens, dass Gott, der nicht lügen kann, vor ewigen Zeiten verheißen hat“ (1,2). Auslegern ist Paulus dreigliedrige Herangehensweise an den Dienst besonders aufgefallen: Glaube, Wissen und Hoffnung.

Zusammengefasst fokussierte sich Paulus auf die Führung der Auserwählten Gottes hin zum rettenden Glauben. Er tat dies, indem er das Evangelium verkündete und die Menschen mit Wissen versorgte. Dadurch konnten sie ein gottesfürchtiges Leben führen. Paulus forderte die Gemeinde dazu auf, auf den Herrn zu hoffen. Er kannte seine Mission, die sich von der Bekehrung bis zur dauerhaften Treue gegenüber Gott erstreckte.

Als es an der Zeit war, unser eigenes Leitbild zu formulieren, orientierten wir uns am Apostel Paulus: Unsere Mission ist es, die Verlorenen zu erreichen, die Schwachen zu stärken und die Treuen zu ermutigen, sodass sie gottesfürchtig leben aufgrund des Evangeliums von Jesus Christus und gemäß ihrer Geistesgaben zur Ehre Gottes.

Legt den Fokus auf Auslegungspredigten (vgl. Tit 1,3.92,1.15)

Schon viele Jahre vor der Gemeindegründung wusste ich, dass Auslegungspredigten der beste Weg sind, Gottes Wort wahrheitsgemäß an sein Volk weiterzugeben. Mark Dever und Greg Gilbert schrieben dazu: „Bei Auslegungspredigten wird die Kernaussage des biblischen Textes, der betrachtet wird, zur Kernaussage der Predigt“2. J.I. Packer drückte es noch prägnanter aus, indem er sagte, dass es nichts anderes bedeute als „die Texte sprechen zu lassen.“

Paulus bezieht sich in seinem Brief mehrere Male darauf: „[…] in der Verkündigung, mit der ich betraut worden bin nach dem Befehl Gottes, unseres Retters“ (1,3). Das griechische Wort, das hier mit „Verkündigung“ übersetzt wird, ist kērugma. Dieses Wort wird im Neuen Testament oft im Zusammenhang mit „predigen“ verwendet. Paulus beauftragt Titus außerdem damit, die Schriften öffentlich zu verkündigen: „Dies sollst du lehren und mit allem Nachdruck ermahnen und zurechtweisen. Niemand soll dich geringschätzen!“ (2,15).

Vom ersten Gottesdienst an hat sich unsere Gemeinde dazu verpflichtet, sich vor allem intensiv mit der Bibel zu beschäftigen. Das gilt für unseren Gottesdienst am Sonntagmorgen, unsere Kleingruppen, unsere Jüngerschaftsgruppen und die Kinderstunde. Sie alle bemühen sich darum, den inspirierten Text der Schrift besser zu verstehen.

Setzt qualifizierte Älteste ein (vgl. Tit 1,59)

In unserem Fall gründeten wir unsere Gemeinde mit einem Team von acht Erwachsenen. Auch wenn ich der einzige Älteste war, der von unserer Gemeinde zum Dienst ausgesendet wurde, begannen wir unsere Arbeit mithilfe des treuen Dienstes von leidenschaftlichen Gläubigen. Doch uns wurde mit der Zeit klar, dass wir ein Team qualifizierter Ältester brauchten, um die Gemeinde leiten zu können.

Nachdem Paulus die Mission und die Art der Verkündigung erläutert hat, richtet er seinen Fokus sofort auf die Suche nach Ältesten und ihre Einsetzung. Auf der Insel Kreta, auf der Titus diente, mag es zwar einen Mangel an geistlich reifen Männern gegeben haben. Doch Paulus schraubte seine Ansprüche nicht herunter. In Verbindung mit 1. Timotheus 3,1–7 beschreibt Titus 1,5–9 den erforderlichen Charakter für Führungspersonen in der Gemeinde Christi.

Nachdem wir drei Monate durch das Buch Titus gepredigt hatten, wurde unsere Gemeinde ein Jahr nach der Gründung mit ihrem ersten Ältesten gesegnet. Aufgrund der Gnade Gottes haben wir seitdem treue Männer, die die Leitung bei uns übernehmen.

Widmet euch voll und ganz der Jüngerschaft (vgl. Tit 2,28)

Jüngerschaft gehörte zu den ersten und wichtigsten Aufgaben, mit denen wir uns beschäftigten mussten. Natürlich hielten wir uns dabei Jesu Aufforderung vor Augen: „[…] und macht zu Jüngern alle Völker“ (Mt 28,19). Die Frage war nur: Wie genau konnten wir das umsetzen? Ich hatte schon miterlebt, wie einige verschiedene Jüngerschaftsmodelle in anderen Gemeinden gescheitert waren. Ich wollte auf keinen Fall, dass wir auch dazugehörten.

In Titus 2 lernen wir Paulus’ Plan für allumfassende Jüngerschaft in der gesamten Gemeinde kennen. In den Versen 2 bis 8 listet er vier Grundkategorien von Personen innerhalb einer Gemeinde auf: ältere Männer, ältere Frauen, jüngere Frauen und jüngere Männer. Und zwar sollen ältere Männer ihre Zeit damit verbringen, die jüngeren Männer zu lehren, während ältere Frauen das Gleiche mit den jüngeren Frauen machen sollen. Es ist keine Rede von einer besonderen Qualifikation; Paulus unterstreicht hier die Tatsache, dass alle Glieder des Leibes wichtig sind und Verantwortung für die kommende Generation haben.

Wir haben versucht, Möglichkeiten zu schaffen, damit wir öfter als Gemeinde zusammenkommen. Zusätzlich zu meinem wöchentlichen Männerhauskreis gibt es auch andere Mitglieder, die in Kleingruppen Hauskreise leiten oder sich in Zweiergruppen zum persönlichen Austausch treffen. Wir ermutigen jedes Mitglied unserer Gemeinde, sich zu beteiligen und einander im Wachstum zu helfen.

Verpflichtet euch der gesunden Lehre (vgl. Tit 2,1.1114; 3,47)

Paulus’ Brief an den jungen Titus enthält die Aufforderung: „Du aber rede, was der gesunden Lehre entspricht“ (2,1). Was ist gesunde Lehre? Kurz gesagt ist es die kollektive Formulierung und Lehre eines Themas, das aus der Schrift abgeleitet ist. Oder, wie Wayne Grudem sagt: „Was die Bibel uns heute über ein bestimmtes Thema lehrt“3.

Schon früh war mir der Artikel von Eric Bancroft „The Joy of Theology Reading in Groups“ (Anm. d. Übers.: ein Artikel über den Gewinn von Bibelstudium in Gruppen) eine große Hilfe. Ich gründete genau so eine Gruppe für unsere Männer und kurz darauf folgten auch die Frauen unserem Beispiel. Auch wenn meine Predigten oft Elemente der Theologie beinhalten, bin ich davon überzeugt, dass wir uns nicht davor scheuen sollten, Theologie zu erforschen und sie zu erklären. Ich bin bisher überzeugt, dass die Verpflichtung zum Theologiestudium für unsere Gemeinde nicht schädlich war, sondern uns ganz im Gegenteil zum exponentiellen Wachstum verholfen hat. Eine Warnung: Wenn du theologische Wörter verwendest, solltest du auch in der Lage sein, sie zu erklären!

Widmet euch dem Dienst (vgl. Titus 2,7.123,7.14)

Wenn eine Gemeinde ihre gesamte Aufmerksamkeit auf das Wort und die Theologie richtet, besteht immer die Gefahr, dass es beim rein theoretischem Wissen bleibt. Davon ist in der Bibel allerdings nie die Rede. Tatsächlich betet Paulus explizit dafür, dass die Christen der Gemeinde „erfüllt werde[n] mit der Erkenntnis seines Willens in aller geistlichen Weisheit und Einsicht“ (Kol 1,9). Jesus betete auch, dass die Gemeinde geheiligt werden sollte. Das geschieht durch das tiefe Eintauchen in das Wort Gottes (vgl. Joh 17,17).

Doch die Gemeindemitglieder auf der Insel Kreta waren von Natur und Kultur aus anfällig für Faulheit. Paulus zitiert sogar den berühmten kretischen Dichter Epimenides, der sagte: „Die Kreter sind von jeher Lügner, böse Tiere, faule Bäuche“ (1,12b). Paulus bekräftigt diese Aussage im nächsten Vers. Es ist nicht schwer, Parallelen zu unserer derzeitigen Kultur zu ziehen, deshalb sollten wir den Warnungen aus der Vergangenheit Beachtung schenken.

In Bezug auf das Problem der Faulheit ermahnt Paulus die Gemeinde mehr als viermal (2,7.123,7.14 und 1,6), sich stattdessen guten Taten zu widmen. Das beste Beispiel dafür ist Jesus, „der sich selbst für uns hingegeben hat, […] und für sich selbst ein Volk zum besonderen Eigentum zu reinigen, das eifrig ist, gute Werke zu tun“ (2,14). Natürlich wissen wir, dass gute Taten uns nicht vor Gott rechtfertigen (vgl. Eph 2,8–9), doch sie sind ein Zeugnis für die Wahrhaftigkeit unseres Glaubens an Jesus Christus. Deshalb sagt Paulus der Gemeinde, dass sie „eifrig gute Werke tun“ (3,8) sollen, „damit sie nicht unfruchtbar sind“ (3,14).

Seid ein lebendiges Zeugnis (vgl. Tit 2,78; 3,12)

Wir gründeten unsere Gemeinde in einer kleinen Stadt, und in kleinen Städten spricht sich schnell etwas herum. Wenn wir bekannt dafür geworden wären, eine lästernde, lieblose oder streitsüchtige Gemeinde zu sein, würde uns dieser Ruf die nächsten 20 Jahre lang verfolgen. Deshalb sehen wir es als äußerst wichtig an, ein lebendiges Zeugnis für Jesus zu bleiben.

Paulus macht sich darüber auch Gedanken. Er weist Titus an, selbst ein Vorbild für Gottesfürchtigkeit zu sein: „In allem mache dich selbst zu einem Vorbild guter Werke“ (2,7a). Gleichzeitig ermahnt Paulus auch die Sklaven, die Teil der kretischen Haushalte waren, Treue vorzuleben, „damit sie der Lehre Gottes, unseres Retters, in jeder Hinsicht Ehre machen“ (2,10b). Kurz gesagt sollen wir alles dafür tun, das Evangelium ansprechend für andere zu machen.

Paulus geht noch einen Schritt weiter und erinnert die Gemeindemitglieder daran, „dass sie sich den Regierenden und Obrigkeiten unterordnen und gehorsam sind, zu jedem guten Werk bereit, dass sie niemand verlästern, nicht streitsüchtig sind, sondern gütig, indem sie allen Menschen gegenüber alle Sanftmut erweisen (3,1–2, vgl. auch Röm 13,1–10). Es ist wichtig sich vor Augen zu halten, dass man eine Gemeinde nicht in einem Vakuum gründet; es gibt immer jemanden, der zuschaut. Wie präsentieren wir uns selbst und das Evangelium Christi gegenüber Außenstehenden?

Schützt euch vor Spaltung (vgl. Tit 3,911)

Es ist offensichtlich, dass die Einheit der Gemeinde kostbar, wertvoll und verletzlich ist. Deshalb legt Paulus den Gemeindemitgliedern ans Herz, dass sie sich bemühen sollten, „die Einheit des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens“ (Eph 4,3). Mit dieser Wahrheit im Hinterkopf warnt Paulus Titus: „Die törichten Streitfragen aber und Geschlechtsregister, sowie Zwistigkeiten und Auseinandersetzungen über das Gesetz meide; denn sie sind unnütz und nichtig“ (3,9). Das bedeutet nicht, dass eine gut gemeinte Diskussion unter Brüdern nicht nützlich sein kann. Aber Zank und Streit sind Gift für eine Gemeinde.

Ein Luxus, den wir als kleine Gemeindegründung erleben durften, war der Segen des kleinen Anfangs. Wir hatten zwar die nötige Unterstützung unserer aussendenden Gemeinde, doch wir starteten nicht mit hohen Erwartungen an einen mitreißenden Gottesdienst, unzähligen Kommittees, Kinderbetreuung während des Gottesdienstes oder einer aktiven Jugendgruppe. Die Dinge waren viel simpler, weil wir nur eine kleine Gemeinschaft waren. Deshalb gab es auch nicht viel, über das wir uns hätten streiten können. Doch mit unserem Wachstum wurden die Dinge komplexer und es gibt heute mehr Situationen, in denen wir einander auf den Schlips treten können.

Gottes Wunsch ist es, dass wir einander lieben (vgl. Joh 13,34–35), freundlich zueinander sind (vgl. Eph 4,32), einander ertragen und einander dienen (vgl. Gal 5,13). Aus diesem Grund haben wir es uns zur persönlichen Aufgabe gemacht, unseren Blick auf Jesus zu richten, uns auf den reichen Segen der Gemeinschaft einzulassen und unsere Gemeinde vor Spaltung zu bewahren.

Zusammenfassung

Auch wenn ich in kürzester Zeit einen riesigen Berg an Versen durchgearbeitet habe, möchte ich damit nicht sagen, dass eine Gemeindegründung einfach, planbar oder sorgenfrei ist. Sie verlangt durchgehend eine Menge Arbeit, Gebet, Fehler, Buße, Vergebung und Glauben. Ich habe mit der Zeit gelernt, dass es bei einer Gemeindegründung viel mehr um die „Gemeinde“ geht als um die „Gründung“. Solide Ekklesiologie und Hingabe an die Schrift erleichtern die Aufgabe sehr. Die Geschichte unserer Gemeindegründung mag ganz anders aussehen als die Geschichte deiner Gemeindegründung. Aber Gott ist treu. Was wir im Endeffekt am meisten gebraucht haben, war kein Stapel von Büchern, sondern eine abgewetzte Bibel.


1 David Platt, Daniel L. Akin, Tony Merida, Christ-Centered Exposition Commentary: 1 & 2 Timothy and Titus, Nashville: B&H Academic, 2013, S. 226. 

2 Mark Dever, Greg Gilbert, Preach: Theology Meets Practice, Nashville: B&H Academic, 2012, S. 36. 

3 Wayne Grudem, Systematic Theology: An Introduction to Biblical Doctrine, Grand Rapids: Zondervan, 1994, S. 25. 


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.

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