Gemeinsames Leben

Den Glauben bekennen

Von Kai Soltau

Kai Soltau ist Dozent für Biblische Studien und unterrichtet an verschiedenen theologischen Ausbildungsstätten. Er ist Pastor und Gemeindegründer in Wien, einer der Leiter von Langham Österreich und Vorstandsmitglied von Evangelium21. Kai und seine Frau Missy haben zwei Kinder.

Von Matthew Short

Matthew Short ist Ältestenanwärter in der Christus Gemeinde Wien. Er bloggt auf www.mwshort.com und hat gerade sein Studium am Southern Baptist Theological Seminary abgeschlossen.
Artikel
01.06.2023

Die Rolle von Bekenntnissen im Gemeindeleben

Wir glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.”

Ab und zu rezitieren wir diese Worte, wenn wir – eine kürzlich gegründete Gemeinde – uns in Wien versammeln. Sie stammen aus dem „Nicänischen Glaubensbekenntnis” (Nicäa 325 n. Chr., überarbeitet Konstantinopel 381 n. Chr.). Vielen Evangelikalen mögen solche alten Traditionen entweder unnötig oder archaisch vorkommen, aber unsere Gemeinde rezitiert an fast jedem Sonntag Auszüge aus historischen Bekenntnissen oder Katechismen (im Folgenden nur Bekenntnisse).

Aber wie kommt es, dass das Rezitieren von Bekenntnissen im Jahre 2021 in einem weitgehend kirchenfernen und post-christlichen, europäischen Land wie Österreich Bestandteil unseres Gemeindelebens ist?

Du kennst sicher viele unterschiedliche Auffassungen von dem, was wir das „regulative Prinzip“ nennen. Als Christus Gemeinde Wien sind wir davon überzeugt, dass die Elemente des gemeinsamen Gottesdienstes durch die Heilige Schrift vorgeschrieben und geregelt werden sollten. Gleichzeitig sehen wir aber auch eine enorme Freiheit in Bezug auf die Formen, die diese Elemente in unseren Gottesdiensten annehmen. Im Allgemeinen folgen die Gottesdienste in unserer jungen Gemeinde Woche für Woche demselben Muster, das wir auch an unterschiedlichen Stellen der Bibel wiederfinden: Wir erheben den Lobpreis auf den dreieinigen Gott, erkennen die Notwendigkeit eines Erlösers für uns, feiern die Fürsorge Gottes für uns im Evangelium und betrachten schließlich Gottes Anweisungen für unser neues Leben in Christus. Die Bekenntnisse, die wir im Gottesdienst rezitieren, können dabei als Teil von jedem dieser Gottesdienstelemente eingesetzt werden. Die Bekenntnisse sind ja an sich kurze Zusammenfassungen der Heiligen Schrift und so erlauben sie es uns, diese unterschiedlichen Abschnitte in unseren Gottesdiensten biblisch zu beleuchten, genauso wie wir es auch durch Schriftlesungen und Lieder tun. Manchmal rezitieren wir auch ganz einfach Schriftstellen im Gottesdienst, um unseren gemeinsamen Glauben zu bekennen.

Wenn wir bekennen, dass die Kirche die „eine, heilige, katholische und apostolische“ ist, sagen wir das auch über unsere kleine Gemeinde. Unsere Gemeinde ist „heilig” – abgesondert von der Welt. Sie ist „katholisch” – ein Teil der größeren, universalen Kirche. Und sie ist „apostolisch” – im Einklang mit der Lehre der Apostel. Durch unseren Gebrauch von Bekenntnissen versuchen wir, das Denken unserer Leute zu prägen. Und so beten wir, dass diese historischen Bekenntnisse dem Bekenntnis unserer Versammlung von Gläubigen zu eigen wird. Wir würden sogar so weit gehen und behaupten, dass die Integration von Bekenntnissen in das Leben der Gemeinden in Europa und darüber hinaus dazu beiträgt, die Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität der einzelnen Gemeinden zu bewahren.

1. Eine heilige Kirche – abgesondert von der Welt

Wenn wir Evangelikalen das Wort „Heiligkeit” hören, denken wir in der Regel an die „fortschreitende Heiligung” im Leben der einzelnen Gläubigen. Aber Heiligkeit ist auch ein Erkennungsmerkmal der Gemeinde Christi. Die Kirche ist anders als die Welt; sie ist abgesondert. Das gilt sowohl auf der universalen als auch auf der lokalen Ebene.

Gott treu ergeben sein inmitten von Gottlosigkeit

Christen sind ein seltsames Volk an einem noch seltsameren Ort. Der Herr hat uns aus dieser Welt herausgerufen, weg von jeglichem Götzendienst, um sein heiliges Volk zu sein (vgl. 1Petr 1,13–21; 1Thess 1,9–10).

Bei uns in Europa sind christliche Grundsätze und Tugenden nicht mehr die Norm, sondern werden als Abweichung davon angesehen. In unserer Kultur ist z.B. der Glaube, dass ein Mensch von den Toten auferstanden ist, der Gipfel der Torheit. Die Anbetung eines dreieinigen Gottes ist ein Widerspruch. Und die Erkenntnis, dass wir in einer geschaffenen Welt leben, ist reines Wunschdenken. Das ist ein Grund mehr, die Realität dieser Dinge Sonntag für Sonntag als aus der Welt Herausgerufene und als abgesondertes Volk Gottes zu bekennen! Die Bekenntnisse sind Ausdruck unseres Christseins in Raum und Zeit und sie bezeugen, dass es normal ist, nicht normal zu sein.

Wenn wir also gemeinsam unseren Herrn bekennen, mit dem wir in einem Bund stehen, bezeugen wir ihm, dass wir uns zu seiner Wahrheit bekennen, anstatt den intellektuellen Versuchungen der Welt zu erliegen. Die Welt betrachtet unser Bekenntnis zwar mit gewisser Abscheu, aber auch mit einem gewissen Maß an Verwunderung.

Sicher sein inmitten der Täuschung

Onkel Screwtape (der Hauptcharakter in C.S. Lewis’ Dienstanweisung für einen Unterteufel), der verachtenswerte Erzdämon, schreibt an seinen Schützling: „Alle Sterblichen neigen dazu, sich in das zu verwandeln, was sie vorgeben zu sein.“ Aufgrund unseres Begehrens nach Menschenlob setzen wir Menschen uns Masken auf, damit wir nicht in unserer Umgebung auffallen. Aber irgendwann können wir nicht mehr die Masken von unseren wahren Gesichtern unterscheiden. Die Welt verführt uns auf vielerlei Weise, aber Gruppenzwang ist wohl einer der Giganten unter den weltlichen Verlockungen.

Wie könnten wir also besser gegen die weltliche Verlockung zur Anpassung angehen, als wenn wir gemeinsam Wahrheiten bekennen, die das Fundament unseres christlichen Lebens und Glaubens darstellen? Wenn unsere Gemeindemitglieder in die Welt hinausgehen, werden sie darauf getrimmt, dass sie ewig lang leben werden und die Toten keine Reue kennen. Wenn wir jedoch in einer Schar von 10, 20, 50 oder 500 Menschen stehen, die gemeinsam bekennen: Jesus wird „kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“, nehmen wir an einem überwältigenden Zeugnis teil, dass genau das Gegenteil wahr ist. Im Englischen gibt es die interessante Wendung „fake it until you make it”, was soviel heißt wie: gib einfach vor, etwas zu sein, was du gar nicht wirklich bist, bis du erreicht hast, was du erreichen wolltest. Doch wenn wir in Form von Bekenntnissen bekennen, etwas zu sein, geben wir nicht nur vor, irgendetwas zu sein, sondern wir bezeugen biblische Wahrheiten über uns und die Welt.

Gemeinsam geeint sein inmitten von Uneinigkeit

In der Welt sind die Menschen in ihren Meinungen und Gefühlen zu verschiedenen Themen wie COVID-19 und Politik gespalten, aber wir haben uns im Gemeindeversprechen unserer Gemeinde hier in Wien verpflichtet, uns um die Einheit untereinander zu bemühen. Indem wir an jedem Sonntag mit einer Stimme unseren Glauben bekennen, machen wir diese Einheit konkret und greifbar. Das Bekenntnis der zentralen Wahrheiten des christlichen Glaubens erinnert uns an unsere Einzigartigkeit als „Königreich von Priestern” des Herrn inmitten einer überwiegend antichristlichen Gesellschaft.

Wir machen damit den Unterschied zu denen deutlich, die außerhalb der Kirche stehen, und zeigen gleichzeitig Nächstenliebe und Einheit nach innen. Dies wirft jedoch die Frage auf: Sind wir denn auch eins mit den Christen, die außerhalb unserer eigenen Ortsgemeinde sind?

2. Eine katholische Kirche – vereint mit dem Volk Gottes

Die Bekenntnisse lehren unsere Mitglieder auch die Katholizität, d.h. unsere Verbundenheit mit der gesamten Braut Christi.

Der Begriff „katholische Kirche“ (gr. katholike ekklesia) wird erstmals in den Werken des Ignatius von Antiochien um 107 n. Chr. erwähnt. Seitdem ist der Begriff im Laufe von zwei Jahrtausenden Kirchengeschichte in Ungnade gefallen. Als Protestanten neigen wir dazu, uns vom römischen Katholizismus abzugrenzen, indem wir an dieser Stelle in den Bekenntnissen den Begriff „allgemeine” oder „christliche” Kirche bevorzugen Aber dieser Kompromiss ist etwas bedauerlich, denn der Begriff „katholisch“ bedeutet in seinem historischen Gebrauch zwar „universell” bzw. „allgemein”, aber er vermittelt auch ein Gefühl der Gesamtheit und der Zusammengehörigkeit der Gemeinde Jesu.

Selbst wenn wir in wichtigen Fragen nicht mit anderen Kirchen und Gemeinden ganz einer Meinung sind, gibt es einen gewissen Grad der Einheit, obwohl diese nicht unsere gesamte konfessionelle Identität teilen. Soteriologisch (also in Hinsicht auf das Heil) sind wir in Christus über Zeit und Raum hinweg mit der gesamten Schar der Erlösten vereint.

Der Demut verpflichtet

Unser regelmäßiges Bekenntnis der Grundlagen des Glaubens zielt zum Teil darauf ab, Demut an den Tag zu legen. In einer Weltstadt wie Wien sind wir gewöhnlich nicht die erste echte Gemeinde, die Neuankömmlinge kennenlernen. Wir sind auch nicht die einzige Gemeindegründung in der Stadt. Wir kennen die anderen Pastoren und Gemeindegründer und auch wenn wir vielleicht ernsthafte Meinungsverschiedenheiten mit ihnen haben, so beten wir doch für ihren Erfolg. Wir bekennen uns demütig zur Einheit mit ihnen im gesunden Evangelium, wie es z.B. im Apostolischen Glaubensbekenntnis zum Ausdruck kommt.

Vieles im Gemeindeleben wäre einfacher, wenn wir von uns behaupten könnten, dass wir die einzig wahre Kirche seien. Wir müssten nie jemanden nach seiner Taufe fragen, denn alle Taufen wären ungültig, wenn sie nicht von uns vollzogen wurden. Wir bräuchten nicht unter einzelnen Kirchen und Gemeinden unterscheiden, weil sie alle falsche Kirchen wären. Gemeinden und Gemeindegründungen, vor allem im post-christlichen Kontext, müssen sich eingestehen, dass sie in die Arbeit derer eintreten, die ihnen vorangegangen sind. Wenn unser Herr Mose begraben hat, dann sind seine Absichten größer als nur ein Mann oder nur eine Gemeinde!

In der Geschichte verwurzelt

Als Teil der „katholischen” Kirche haben wir auch den Vorteil, dass unsere Lehre auf zweitausend Jahre Kirchengeschichte zurückblicken kann. Als ein Segen für uns werden viele Früchte dieser Geschichte in den historischen Bekenntnissen zum Ausdruck gebracht. Damit wir nicht den Irrtümern der Vergangenheit erliegen, müssen wir unsere Gemeinde über die hart umkämpften Schlachtfelder der „katholischen” Kirche aufklären, damit wir weiter das gesunde Evangelium verteidigen können (vgl. Gal 1,8–9). Einfach ausgedrückt: Die Kirche erzieht ihre Mitglieder nicht gut, wenn sie sie den Gefahren neu verpackter, alter Irrlehren aussetzt.

In gewissem Sinne bringen die Bekenntnisse die Weisheit und theologischen Einblicke von vom Geist beseelten Bibelauslegern wie Athanasius, Gregor von Nazianzus, Augustinus, Anselm, Martin Luther, Thomas Cranmer, den Westminster Divines, Andrew Fuller, John Broadus, Johann Oncken und unzählig anderen hervor. Auch wenn ein Baptist im 21. Jahrhundert nicht in jedem Punkt mit diesen Männern übereinstimmen mag, bekennen wir gemeinsam mit ihnen biblische Wahrheiten in einer Formulierung, die sich im Laufe der Zeit bewährt hat.

Die Verwendung historischer Bekenntnisse stärkt auch unsere Glaubwürdigkeit als christliche Zeugen in einer post-christlichen Kultur. Als junge Gemeindegründung in Wien genießen wir enorme Freiheiten, die unsere weltweiten Brüder und Schwestern in Christus vielleicht nicht immer haben. Gleichzeitig befinden wir uns in einem Umfeld, in dem die Religionsfreiheit und die Trennung von Kirche und Staat nicht in gleichem Maße gegeben sind wie in anderen Teilen der Welt. Viele Gemeinden außerhalb der Volkskirchen werden in Österreich häufig vorschnell als Sekten abgestempelt, was eine breite kulturelle Abneigung gegen religiöse Innovationen widerspiegelt. Freikirchen, die lange Zeit nicht Teil des österreichischen Kirchensystems waren, wurden erst vor Kurzem als religiöse Einrichtungen anerkannt (2013), aber die breite österreichische Bevölkerung betrachtet diese religiösen Gemeinschaften oft immer noch entweder als innovativ oder sektenhaft. Aber kann man das wirklich von einer Gemeinde sagen, deren Glaube auf ein Bekenntnis aus dem 17. Jahrhundert zurückgeht – also Jahrhunderte in der Vergangenheit? Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass wir in unserer Gemeindegründung derzeit das Zweite Londoner Baptistische Glaubensbekenntnis von 1689 verwenden und öffentlich bekennen.

Durch die Gemeinschaft der Heiligen ermutigt

Wenn wir uns am Tag des Herrn hier in Wien versammeln, sind wir vielleicht eine kleine Schar von Gläubigen. Und es mag nicht viele bibelgläubige und konfessionelle Christen in dieser Stadt geben. Aber wenn wir uns gemeinsam zu unserem Glauben bekennen, dann bekennen wir ihn Seite an Seite mit Brüdern und Schwestern aus aller Welt und mit Gläubigen aller Zeiten.

Wenn wir in unseren Gottesdiensten zu dem Teil kommen, in dem wir unseren gemeinsamen Glauben bekennen, verwenden wir manchmal diese einleitenden Worte: „Lasst uns nun gemeinsam mit den Gläubigen aus aller Welt und mit den Gläubigen aller Zeiten bekennen, dass: ‚Wir glauben an …‚“. Diese Worte sind für uns eine große Ermutigung, auch wenn wir nur eine kleine und scheinbar unbedeutende Gruppe von Gläubigen sind.

3. Eine apostolische Kirche – gegründet auf der Bibel

Das Bekenntnis unseres Glaubens anhand von historischen Bekenntnissen und das Aufsagen und Lernen von Antworten auf Katechismusfragen ist fest in den Anweisungen des Alten und Neuen Testaments verankert. Im Alten Testament gebietet Mose Israel, die nächste Generation die Torah zu lehren (vgl. 5Mose 6,4–9). Im Neuen Testament widmet sich die Urgemeinde „der Lehre der Apostel“ (Apg 2,42). Indem wir die historischen Bekenntnisse zu einem Teil unserer Gottesdienste machen, bringen wir unsere Überzeugung zum Ausdruck, dass die Gemeinde das Evangelium von Jesus Christus, wie es von ihm und seinen Aposteln gelehrt wurde, empfangen hat und jetzt verteidigt und weitergibt. Es ist ein und dieselbe Lehre, wie sie von Anfang an war.

Gehorsam in der Weitergabe der Wahrheit

Wir sind davon überzeugt, dass wir, wenn wir unseren Glauben durch historische Bekenntnisse bekennen, sicherstellen, dass wir Gottes Wahrheiten „auf dem Herzen tragen“ (5Mose 6,6) und sie uns selbst und unseren „Kindern einschärfen“ (5Mose 6,7) und so an der „Lehre der Apostel festhalten” (Apg 2,42). Wir können hier hinzufügen, dass, wie Epheser 4,11–14 betont, die „Hirten-Lehrer“ einer jeden Gemeinde eine besondere Verantwortung haben, die Mitglieder – ihre „geistlichen Kinder“ – biblische Wahrheiten zu lehren.

Unterweisung in den Grundlagen

Jemand mag an dieser Stelle einwenden, dass das ständige Bekennen der „gleichen alten Bekenntnisse“ irgendwie seine Bedeutung verlieren und schließlich mechanisch werden könnte. Aber wir sind aus eigener Erfahrung überzeugt, dass es ein Segen ist, wenn wir uns Sonntag für Sonntag daran erinnern, was wir tatsächlich glauben. Es ist eine Art wöchentlicher, geistlicher Gesundheitscheck: „Ja, das ist es, was ich glaube, nicht wahr?“ Oder wir werden durch das Bekennen dieser Worte plötzlich herausgefordert, uns zu fragen: „Glaube ich das wirklich? Zeigen mein Leben und mein Verhalten wirklich, was ich hier gerade bekannt habe?“ Wenn wir uns z.B. gemeinsam die erste Frage des Kürzeren Westminster Katechismuses stellen – „Was ist das höchste Ziel des Menschen?” –, haben wir die Möglichkeit, gemeinsam zu antworten und uns gegenseitig herauszufordern: „Das höchste Ziel des Menschen ist, Gott zu verherrlichen und sich für immer an ihm zu erfreuen.” Was für eine großartige Wahrheit! Können wir jemals genug daran erinnert oder dazu herausgefordert werden?

Oder denken wir z.B. an die zweite Zeile des Apostolischen Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube an … Jesus Christus, seinen einzigen Sohn, unseren Herrn.“ Diese Worte konfrontieren uns mit dem Gedanken: „Habe ich diese Woche wirklich Christus als den einzigen Sohn Gottes angebetet und unter seiner Herrschaft gelebt?”

Unterordnung unter Autorität

Wir leben in einer Zeit, die weitgehend vergessen hat, was die Kinder der Reformation „Sekundärnormen“ nannten. Vielleicht beruht das auf einer Angst vor einem „Kirchlichen Lehramt” wie z.B. in der römisch-katholischen Kirche, aber man muss nicht so weit gehen. Im Gegensatz zur „magistralen Autorität“ – also der Heiligen Schrift an sich – bieten die Sekundärnormen Einblicke, Zusammenfassungen oder Auslegungsschlüssel zum Verständnis der Heiligen Schrift. Diese werden natürlich aus der Heiligen Schrift selbst abgeleitet, aber jede Theologie muss schließlich Kategorien schaffen, um biblische Wahrheiten zu systematisieren und zusammenzufassen. Wir verwenden z.B. Begriffe wie „Trinität”, „hypostatische Union”, „föderales Haupt” etc. Die Bekenntnisse sind nicht vom Heiligen Geist inspiriert, aber sie sind insofern maßgeblich, als dass sie die Offenbarung Gottes genau wiedergeben. Diese Tatsache sollte uns helfen, das weit verbreitete Vorurteil zu verwerfen, dass Bekenntnisse außerbiblische Dokumente sind, die letztendlich überflüssig sind. Vielmehr sind die meisten Bekenntnisse zutiefst biblisch, auch wenn sie nicht mit der Bibel gleichzusetzen sind.

Gestärkt in der Wahrheit

Wir suchen häufig nach guten und prägnanten Formulierungen der Wahrheiten und Inhalte, die wir in der Predigt am Sonntag vermitteln wollen. Nehmen wir einmal an, dass unsere Gemeinde am kommenden Sonntag eine Predigt über Epheser 4,11–16 hören wird. Der Prediger wird erklären, wie unsere Mitglieder zur „Erbauung des Leibes Christi” aufgerufen werden, damit Christus eines Tages ein reifer Leib von Gläubigen in Herrlichkeit präsentiert werden wird. Wir könnten diese Wahrheit z.B. durch eine fast 300 Jahre alte Antwort auf die folgende Frage präzisieren und untermauern: „Was ist die sichtbare Kirche?“ Die Antwort lautet:

„Die sichtbare Kirche ist die organisierte Gemeinschaft bekennender Gläubiger in allen Zeiten und an allen Orten, in der das Evangelium wahrhaftig gepredigt und die Sakramente der Taufe und des Abendmahls recht verwaltet werden.“ (Dies ist Frage und Antwort Nr. 105 des Katechismus von Benjamin Keach, veröffentlicht im Jahre 1693).

Wir sehen also, wie historische Bekenntnisse uns helfen, die apostolische Lehre in unseren Gemeinden zu wahren, zu lehren und dadurch auch wichtige Wahrheiten für unsere Geschwister zu präzisieren.

Schlussfolgerung

Jede Ortsgemeinde sollte eine „Stadt sein, die auf einem Berge liegt” (Mt 5,14), die über Zeit und Raum hinweg mit allen Heiligen verbunden ist und auf der Lehre Christi und seiner Apostel beruht. Historische Bekenntnisse und Katechismen wehren den Geschwüren einer unbestimmten konfessionellen Identität, eines engen Biblizismus und eines chronologischen Snobismus. Sie mögen zwar nur ein Mittel sein, mit dem eine Gemeinde ihre konfessionelle Identität bewahren kann, aber wir sind davon überzeugt, dass sie ein entscheidendes und fast einzigartiges Mittel dafür sind.


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.