Gemeinsames Leben

Das Jünger­schafts­programm von Jesus

Von Jonathan Leeman

Jonathan Leeman ist der Redaktionsleiter von 9Marks. Er ist Herausgeber der 9Marks Buchreihe sowie des 9Marks Journal. Jonathan lebt mit seiner Frau und seinen vier Töchtern in einem Vorort von Washington DC (USA) und ist Ältester der Cheverly Baptist Church.
Artikel
03.03.2021

Aus meiner Sicht besteht Jesus’ Jüngerschaftsprogramm für Gemeinden aus zwei Bestandteilen: Das Gemeindeleben sollte 1.) kongregationalistisch und 2.) unter der Leitung von Ältesten organisiert sein. Lass mich kurz erklären, was ich damit meine.

Die Verantwortung der Gemeinde

Was hat eine von Ältesten geführte kongregationalistische Gemeindeverfassung mit Jüngerschaft zu tun? Beginnen wir mit dem ersten Bestandteil: Kongregationalismus bedeutet, dass alle Gemeindemitglieder Verantwortung füreinander übernehmen. Das heißt: Du hast diese Aufgabe wie jeder andere auch.

Und um diese Aufgabe ausführen zu können, musst du das Evangelium kennen. Du solltest dich gründlich darin auskennen und den Dienst des Evangeliums in deiner Gemeinde verteidigen. Setze dich dafür ein, dass das Evangelium im Leben deiner Gemeindegeschwister und im Leben von Außenstehenden immer mehr durchdringen kann. Anders formuliert: Du sollst auf deine Gemeinde achthaben und sie für Gott heilig bewahren, so wie Adam auf den Garten und die Priester Israels auf den Tempel achthaben und ihn für Gott heilig bewahren sollten.

Um es ganz deutlich zu machen: Ich gehe davon aus, dass wir verantwortlich sind, weil wir bevollmächtigt sind. Eine Person ist nicht für eine Aufgabe verantwortlich, wenn sie nicht dafür bevollmächtigt ist. Du kannst mir nicht sagen, dass ich eine bestimmte Aufgabe habe, ohne mich zu bevollmächtigen, diese Aufgabe auch auszuführen! Das ist so, als würdest du mir auftragen, ein Haus zu putzen, ohne mir die Hausschlüssel zu geben.

Kongregationalismus, der erste Bestandteil von Jesus’ Jüngerschaftsprogramm, bedeutet also, dass die versammelte Gemeinde Vollmacht hat, weil Jesus sie ausdrücklich bevollmächtigt und weil er jedem Gläubigen die Verantwortung überträgt, sein Evangelium zu verkünden und dieses Evangelium sowie sein Volk zu schützen.

Zurüstung durch die Ältesten

Denk mal darüber nach: Wer schult die Gläubigen und rüstet sie zu, damit sie ihren Dienst am Evangelium tun können? Wer lehrt sie das Evangelium? Wer lehrt sie, wie sich das Evangelium auf jeden Lebensbereich auswirkt? Wer unterrichtet sie darin, zwischen echten Gläubigen und Scheingläubigen zu unterscheiden, damit sie die Gemeinde für Gott heilig bewahren können?

Die Pastoren und Ältesten!

Diese Fragen führen uns zum zweiten Bestandteil von Jesus’ Jüngerschaftsprogramm: der Leitung der Gemeinde durch Älteste. Die Gemeinde ist darauf angewiesen, dass ihre Leiter sie zurüsten sollen, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden können. Paulus schreibt dazu: Jesus hat […] „etliche als Hirten und Lehrer [gegeben], zur Zurüstung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes des Christus“ (Eph 4,11-12). Was tun die Pastoren? Sie rüsten die Gemeinde zu. Was tun die Heiligen? Das Werk des Dienstes. Die zwei Bestandteile greifen ineinander:

Die Leitung der Gemeinde durch Älteste → rüstet uns für unsere Aufgabe zu.

Der Kongregationalismus → gibt uns diese Aufgaben.

So lässt sich das Jüngerschaftsprogramm von Jesus auf den Punkt bringen. Oder wir können es mit einer mathematischen Formel ausdrücken:

Leitung durch Älteste + Vollmacht der Gemeinde = Jüngerschaft

Wenn man diese zwei Variablen addiert, dann erhalten wir Jesus’ Jüngerschaftsprogramm.

Wenn sie von einer kongregationalistischen Gemeindeverfassung hören, haben manche Bedenken, dass die Entscheidungen über das Wohl der Gemeinde in die Hände der unreifsten Gemeindemitglieder gelegt werden.

Ja, es stimmt: Wenn Pastoren ihre Gemeindemitglieder nicht zurüsten, dann haben sie unreife Gemeindemitglieder, die schlechte Entscheidungen fällen. Doch gerade, weil es in einer kongregationalistisch organisierten Gemeinde unter der Leitung von Ältesten nicht möglich ist, dass die Leiter den Gemeindemitgliedern ihren Willen aufzwingen, sind die Leiter dazu gezwungen ihre Mitglieder entsprechend gut auszubilden. Das Jüngerschaftsprogramm von Jesus sieht vor, dass die Leiter ihre Mitglieder gut zurüsten, damit diese die Reife und Fähigkeit erlangen, um gute Entscheidungen zu treffen. Sie müssen sie lehren; sie müssen ihnen Inhalte und Zusammenhänge erklären, sie mit allem, was nötig ist ausstatten; sie müssen gute Hirten sein und die Gemeinde liebevoll umwerben. Gemeindemitglieder sind so wie 17-, 18-jährige Fahranfänger. Wenn sie keine ordentlichen Fahrstunden bekommen, dann muss sich der Fahrlehrer an die eigene Nase fassen. Gib nicht den Gemeinden die Schuld, wenn sie die falsche Spur einschlagen. Schau auf ihre Lehrer.

Eine Gemeinde, die ihrer Gemeindeleitung uneingeschränkte Vollmacht gibt, tut ihrer eigenen Jüngerschaftskultur keinen Gefallen. Einerseits werden die Gemeindemitglieder unverantwortlicher, wenn sie ihre eigene Vollmacht aufgeben. Sie werden nach und nach passiv und selbstzufrieden und letztlich weltlich gesinnt. Sie vernachlässigen ihre Aufgabe, die Gemeinde zu schützen.

Andererseits geben die Pastoren, die ihren Gemeinden die Vollmacht entziehen, paradoxerweise eine Form ihrer eigenen Leitungsverantwortung auf. Sie müssen sich beharrlich um die Ausbildung und Zurüstung der Gemeindemitglieder bemühen, damit diese ihre Vollmacht weise einsetzen können. Wenn sie allerdings diese Verantwortung abschütteln, dann machen sie sich zwar die Arbeit leichter, aber sie sind auch nicht mehr die Leiter, die Gott für seine Gemeinde vorgesehen hat.

Ist der biblische Kongregationalismus eine Demokratie? Nein, es ist eine gemischte Regierungsform: teils Monarchie (die Herrschaft eines Einzelnen), teils Oligarchie (die Herrschaft der Wenigen), teils Demokratie (die Herrschaft der Vielen). Jesus, der König, regiert durch sein Wort; die Ältesten und Pastoren leiten die Gemeinde; und die Gemeinde hat (menschlich gesehen) in verschiedenen wichtigen Fragen das letzte Wort. Und gerade aus dieser Dynamik zwischen dem Einzelnen, den Wenigen und den Vielen entsteht eine Jüngerschaftskultur, in der unreife Gemeindemitglieder mündig werden.

Wenn Jesus und seine Apostel über die Ordnung der Gemeinde sprechen, dann geht es nie einfach nur um bürokratische Entscheidungsprozesse. Es ist immer grundlegend und in erster Linie eine Frage der Jüngerschaft!


Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Evangelium21 übersetzt. Mehr evangeliumszentrierte Ressourcen gibt es auf evangelium21.net.